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Jahresbericht 1910 der Zürcher Kunstgesellschaft
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Hans Kaspar Füssli der Jüngere (1743—1786) war Zeichenlehrer am Zürcher
Waisenhaus, später Buchhändler in Winterthur. Als eifriger Entomologe stellte er sein
Talent ganz in den Dienst der Naturwissenschaften und fand als Insekten- und Pflanzen-
maler große Anerkennung. Seine beiden ausgestellten Zeichnungen (Schrank M), die Kopie
eines moralisch-allegorischen Tafelgemäldes und die Titelzeichnung für ein Gesellschafts-
protokoll, datiert mit 1759 und 1761, sind belanglose Jugendarbeiten und nur bezeichnend
für den Eifer, mit dem im Füßlischen Hause der Kunst gehuldigt wurde.
Johann Rudolf Füssli der Jüngste (1737—1806) wuchs als ältester Sohn eben-
falls in der Malerfamilie des Joh. Kaspar auf und genoß von frühester Jugend an alle
Anregung, die die «künstlerische Atmosphäre» des Elternhauses bieten konnte. Als
Gehilfe seines Vaters radierte er die Bildnisse und Vignetten zu dessen Werk über Schweizer
Maler. Noch aus seiner Zürcher Zeit stammt auch das Oelgemälde «Die Spieler» der
Zürcher Sammlung (Kat.-Nr. 150). 1765 begab er sich zu weiterer Ausbildung nach
Wien. Um sich durchzuschlagen, trat er nach einiger Zeit als Sekretär bei einem
ungarischen Grafen zu Pressburg in Dienst, später wurde er nach weitern Nöten und
Bedrängnissen erst gräflicher, dann staatlich-ungarischer Feldmesser und Steuerkommissär.
Ein lang vorbereitetes Werk, ein kritisches Verzeichnis von Kupferstichen nach berühmten
Gemälden, trug ihm im Jahre 1800 die Stelle eines Archivars an der kaiserlichen Kunst-
akademie in Wien ein. Füssli erhielt damit einen Wirkungskreis, der seinen Anlagen
besser entsprach. 1801 begann er die Herausgabe der «Annalen der bildenden Kunst für
die österreichischen Staaten». Die Zürcher Kunstgesellschaft besitzt leider keine der
gerühmten Volksszenen und Kostümstudien aus seiner ungarischen Zeit, sondern nur einige
vorwiegend von akademischen Vorbildern beeinflußte Entwürfe oder direkte Kopien in
wenig persönlicher Haltung.
Unter den ausgestellten Blättern befinden sich eine Sintflut, ein Herkules mit Keule
und Löwenhaut, Adam und Eva, eine Darstellung .der grausamen Marter des Apostels
Simon und eine Federzeichnung, die als Titelblatt. zu einem «Hinkenden Boten» gelten
kann. Von zwei Blättern in Bleistift zeigt das eine allerlei Einfälle, das zweite ist
ein Bildnis von Salomon Landolt,. wahrscheinlich vom Jahre 1771 (Tafel III). Füssli befand
sich damals zu einem kurzen Aufenthalt. in Zürich, Landolt: war 1767 von Metz und
Paris zurückgekehrt und genoss als politische Persönlichkeit wie als Maler bereits ein
gewisses Ansehen. Im Hause seines Vaters, wo alles verkehrte, was ın Zürich zeichnete
und malte, kann er Joh. Rudolf leicht begegnet sein. Landolts Geburtjahr ist 1741. Die
Reise nach Metz hatte er 1764 angetreten. Hätte er Füssli zu dieser Zeit gesessen, so
würden seine Züge doch etwas jugendlicher sein müssen als auf der Zeichnung. Das
glatt rasierte Antlitz unter dem Dreispitz ist das eines Dreissigiährigen. Zwei andere
Bildnisse im Kunsthaus, das Oelgemälde Reinhards (Kat.-Nr. 435) wie das Wochersche
Aquarell (Kat.-Nr. 492), das in unmittelbarer Nähe der Zeichnung hängt («Salomon
Landolt, ein ächter Schweizer und Biedermann, geschickt als Künstler, verehrt und
geliebt als Freund»), stammen beide aus dem Jahre 1803 und zeigen den ehemaligen
Landvogt als bestandenen älteren Herrn. Die Bleistiftzeichnung charakterisiert ihn un-
gleich lebendiger. Scheinbar kühl und geruhsam blickt das Auge, die Linien um Mund