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Jahresbericht 1910 der Zürcher Kunstgesellschaft
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ınd Nase verraten aber deutlich genug geistige Beweglichkeit und Energie, dazu die
Bereitschaft zu ironisch-skeptischem Lächeln.
Einheitlicher und stärker als die bunte Zusammenstellung von Zeichnungen ver-
schiedener Meister in den vereinzelt stehenden Schränken der Räume BI und BII wirkt
die ungeteilte Flucht von Ausstellungsvitrinen im dritten Bibliotheksaal. Er enthält aus-
schliesslich Werke eines einzigen, aber ganzen und grossen Künstlers. Wilhelm
Heinrich Füssli (geb. 1830) hat im Jahre 1901 sein in Oel gemaltes Selbstbildnis
der Gemäldesammlung geschenkt (Kat.-Nr. 151), gleichzeitig wurde die Kreidezeichnung
«Luigia> angekauft (Kt.-Nr. 153). Schon früher war die «Römerin» (Kat.-Nr. 152)
in die Sammlung gelangt. Zu der Jüngst verflossenen Eröffnungsausstellung sandte
Füssli drei Bildnisse, darunter den «Cellospieler», die in ihrer vornehmen Ruhe wohl
jedem Besucher mit der Erinnerung an den Kuppelsaal als Haupteindruck verbunden
bleiben werden.
Die gegenwärtige Ausstellung zeigt ihn in mehr als achtzig Blättern verschiedenen
Gewichtes als Zeichner. Eröffnet wird die Reihe durch einen äusserst sorgfältigen
männlichen Akt aus der Zeit, da der Sechzehnjährige in Frankfurt am Städelschen Kunst-
institut lernte. In den gleichen Jahren, 1846 und 1847, sind neben leichten Reise-
skizzen einige Bildnisstudien — Kinder und pfeifenrauchende Bauern — entstanden. Aus
Zürcher Sommerferien stammt wohl das Blatt mit der Schipfe und dem stark belaubten
Lindenhof in sonniger Mittagsstunde. Zeugnisse des ersten Besuches in Italien (1850
von München aus) sind mehrere Architekturbilder aus Venedig. Hier wie auf Blättern
mit Motiven aus Nordfrankreich, Strand und Landschaft in der Nähe von Dieppe,
mittelalterliche Befestigungen, und einzelnen Landschaft- und Architekturskizzen aus
Salzburg, werden in einfacher Bleistiftzeichnung durchaus malerische Wirkungen er-
reicht. .
Vorwiegend zeichnerisch durchgeführt sind die zahlreichen humoristischen Blätter.
Neben den ruhenden Berchtesgadener Bürgermeister stellt sich die Interieurszene mit
Herrn Braun beim Coiffeur, dann eine grosse Reihe lustigster Augenblicksszenen von
allen möglichen Orten, wo die Menschen zusammenkommen, Kirche, Konzertsaal,
Gasthaus. Neben dem feierlichen Aufzug der Münchner Fronleichnamsprozession mit
Musik, Erzherzögen und aller hohen Geistlichkeit zeigt der Künstler die andächtige
Versunkenheit der Damen und Herren vom Dienste in der Hofkapelle; auf drei
andern Blättern die Abstufung in Haltung und Gebärden von Spielern und Publikum
der Konzerte im Münchner Odeon, im Cafe Ries und im Oberpollinger. Die Schil-
derung des Lebens im Badener Kurgarten beim Schein der Sterne und Gas-
laternen (die Zürcher Kunstgesellschaft besitzt das Blatt leider nur in Photographie)
wetteifert mit der «Promenade» oder dem «Palais Royal» eines Debucourt in der
Mannigfaltigkeit der Handlung und der Gesellschaftstypen. KEinfacher in der Anlage,
aber um so wirkungsvoller sind die «Malweiber im Ponte Vecchio». Die Emsigkeit der
beiden Damen in der ruhig-grossen Umgebung, die unverhüllte Neugier der Strassen-
jugend, das unter fingierter Gleichgiltigkeit versteckte Interesse der beiden Bummler,
der monumentale Parallelismus der stattlichen Krinolinenwölbungen mit den Rundbogen