4
Jahresbericht 1911” der Zürcher Kunstgesellschaft
_—_
Die Studie ist im Grunde nicht mehr als eine virtuose Untermalung. (Der Farbauf-
trag, ausserordentlich dünn, deckt kaum die Leinwand.) Darum fehlt dem Werk auch
jede Schwere und Starrheit, die oft die allzu weit gehende Durchführung der zeichnerischen
KEinzelformen und die sorgfältige nachträgliche Durchmodellierung und Farbgebung aller
Teile mit sich bringen. Die Studie zeigt die unmittelbare Lebendigkeit des gelungenen
arsten Wurfes. Sie ist ohne Zweifel ein erster Wurf, im Farbigen; als Komposition aber
las Ergebnis sorgfältiger Wahl und Prüfung.
Aus dem Nachlass von Rudolf Koller besitzt die Zürcher Kunstgesellschaft eine
Anzahl von Skizzenbüchern, nicht weniger als 67. Die ältesten stammen von 1840, sie
enthalten Schülerzeichnungen des Zwölfjährigen, Köpfe und allerlei Gegenstände nach Vor-
lagen. Dann folgen Hefte aus den Jahren 1845 und 1846, als Koller in den königlichen
Gestüten zu Scharnhausen, Weil und Kleinhohenheim Einlass gefunden hatte, mit sorg-
fältig schraffierten Studien von Pferden und Pferdebeinen. Später, 1846 und 1847,
Bildnisse von Düsseldorfer Bekannten; auch die Skizze zu jenem KErstlingsbilde, das er
von Brüssel aus durch Böcklin sorglich nach der Schweiz bringen liess: «ein Füllen im
Stall, das der Mutter das Futter aus dem Maul wegfrisst>, dem Eindruck nach «gemüt-
lich, heimlich», überdies «mit Lichteffekt>». In die Bücher aus der Pariser Zeit schleicht sich
gelegentlich ein kleines Momentbild von der Strasse oder aus einem Tanzsaal. Mit dem
Meiringer Aufenthalt von 1849 erscheinen zum erstenmal die Berglandschaften und das
Alpenvieh, Stoffe, die in der Folge die Skizzenbücher fast ausschliesslich füllen. Ein Bild
nach dem andern zeigt sich an, zuerst da und dort in einfachem leichtem Umriss, dann
ausgebaut und vertieft, oft neu angelegt und nach allen Seiten gewendet in einer grossen
Zahl von rasch und skizzenhaft hingeworfenen Versuchen. Die letzten beziehen sich auf
die mondänen Reiterfiguren und Amazonen verschiedener Bilder der neunziger Jahre.
Zum «Raubritter>» gehören in neun Skizzenbüchern etwas mehr als zwanzig Zeichnungen.
Oefter sind es kleine Einzelstudien zur Bewältigung bestimmter Teile des ganzen Vor-
wurfes, daneben zahlreiche Umarbeitungen und Vertiefungen der Gesamtkomposition. So
findet sich immer wieder das steigende Pferd, bald ohne, dann mit Reiter, mehr oder
weniger nach vorn gedreht, je nach der Entwicklung der Hauptdarstellung; der Stier
erscheint zuerst von einem Jüngling niedergezwungen, dann allein, oder bereits gegen
das ansprengende Pferd gestemmt; auch dem zuschlagenden Reiter sind manche Blätter
gewidmet. Zur Darstellung der Entwicklung des «Raubritters» als Komposition können
ainige der entscheidenden Skizzen genügen. Die Reproduktionen geben das Original in
geringer Verkleinerung.
Ausgangspunkt ist ein grösseres Blatt in Längsformat, Fig. 1. Mit erhobener Waffe
sprengen zwei «Ritter» in Helm und Schild an eine Herde heran, Hirten eilen ihnen mit
Spiessen entgegen, einer liegt bereits zu Boden geschlagen unter dem Pferd des vordern
Reiters. Die Handlung ist zweiteilig; vorn, schon in der linken Bildhälfte, die Gruppe
des in Seitenansicht gegebenen ersten Reiters mit zwei Hirten; in der rechten Bild-
hälfte, in Vorderansicht, der andere Reiter, dem sich ein Stier entgegenstellt; als Hinter-
grund eine Landschaft mit Burg. In weitern Skizzen bemüht sich Koller, die Handlung
mehr zusammenzuschliessen, zuerst durch das einfache Mittel, dass er die beiden Reiter
näher an den Stier rückt. Wirksamer und von grosser Tragweite ist die Aenderung,
dass er den Stier zwischen den ersten Reiter und die beiden Hirten bringt. Der zweite