Volltext: Jahresbericht 1912 (1912)

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Jahresbericht 1912 der Zürcher Kunstgesellschaft 
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Zeichnungen von Ferdinand Hodler. 
Von Dr. W. WARTMANN. 
Dazu Tafeln II—IV und Fig. 1—4. 
Die starke Bevorzugung der Landschaft und der Probleme der rem farbigen Ge- 
staltung in der neuen Schweizer Malerei hat den Eifer der Künstler und die Aufmerk- 
zamkeit der Kunstfreunde vorübergehend von der Zeichnung abgelenkt. Die Zeichnung 
als selbständiges, in sich vollendetes Kunstwerk wird heute kaum gepflegt. Selbst die 
Graphik in Holzschnitt und Radierung, um von der Lithographie gar nicht zu reden, sucht 
namentlich malerische Wirkungen. 
Ferdinand Hodler ist Maler. Alle seine Werke finden ihre Lösung und Vollendung 
erst im Bilde. Auch er pflegt die Zeichnung nicht um ihrer selbst willen. Doch benutzt 
er sie auch nicht zur Nachtäuschung von Bildwirkung. Sie ist ihm Dienerin; Studium 
und Vorbereitung zum Bild, soweit. eine zeichnerische Lösung möglich ist; und überall 
sieht er hinter der Studie bereits das Bild. Deshalb ist oft eine Gruppe, eine Figur selbst, 
in ihren Teilen ungleich weit getrieben, zeigt sich das einzelne Blatt scheinbar unausge- 
glichen. Nichts findet sich, das im: Hinblick auf das Endziel, das Bild, unnötig, nur in 
der Zeichnung möglich und am Platze. wäre, wenn es sich zur Vollständigkeit der Zeich- 
nung noch so sehr wünschen lässt; nichts auch, was in der Zeichnung überflüssig wäre, 
nur zu einem Versuch mit unzulänglichen Mitteln. werden müsste, die Vorwegnahme einer 
malerischen Gesamtwirkung, die das Bild allein geben kann. Oft aber werden zu andern 
Zwecken andere Mittel beigezogen; Feder oder Pinsel prüfen einen Bleistiftumriss auf 
die Bedeutung, die ihm im Bild zukommen soll, Haarwellen erhalten durch Uebermalung 
mit schwarzer Tusche probeweise Flächenwirkung; Bleistiftschraffur, Rötel, Wasserfarbe 
bringen einzelne Flächen auf die Tonstufe, die ihnen im vollendeten Werk zugedacht ist 
und lassen sie auf ihre Wirkung hin abwiegen. 
So erlebt der unvorbereitete Beschauer vor Hodlerschen Zeichnungen nicht selten 
zuerst eine Enttäuschung. Das im äusserlichen Sinne Ungleichmässige ihrer Ausarbeitung, 
meist auch der mässige Umfang, stehen zu weit von der «fertigen» Zeichnung oder der 
getreuen Uebersetzung malerischer Eindrücke in schwarzweiss, Licht und Schatten, wie 
Bleistift, Sepia, Tusche, oder graphische Verfahren sie bieten. Es bleibt den Hodlerschen 
Zeichnungen genug. Neben der Eindruckskraft ihrer einzelnen Teile verblassen die 
harmonisch ausgearbeiteten Werke zeichnerischer Virtuosität in schulgemässen Mitteln. 
Wie Zeichnungen (nicht. Cartons) alter Meister zeugt jede auch als Bruchstück für die 
Kraft und den Willen des Künstlers. Es ist bedeutungsvoll, dass vor den Zeichnungen 
Hodlers sich das Wort vom persönlichen zeichnerischen «Strich» nicht einstellen will, 
die Linie zwingt das Auge, die gleiche Linie, die auch im Bilde herrscht. "Technik 
geht auf in Stil.
	        
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