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Jahresbericht 1914 der Zürcher Kunstgesellschaft
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Zeichnungen von Heinrich Füssli.
Dazu die Tafeln. I, II, II, IV. ;
Von Dr. W. WARTMANN.
Heinrich Füssli ist für den Kontinent durch die Berliner Jahrhundert-Ausstellung
von 1906 neu entdeckt worden. Nach dem Tode seiner wenigen, von ihm schlecht genug
behandelten Freunde in Zürich und Deutschland, waren alle Brücken abgebrochen. 1778
hatte er auf dem Rückwege von Rom Zürich zum letzten Male besucht, 1802 von London
aus eine kurze Reise nach Paris unternommen, um die von Napoleon zusammengebrachten
Kunstsammlungen zu studieren, im übrigen war und blieb er vollständig der «Engländer»
bis zu seiner feierlichen Beisetzung in der St. Pauls-Kathedrale, am 25. April 1825.
Freilich, eine literarische Existenz in seiner Heimat und in Deutschland war ihm auch
so beschieden. Als Erbgut glitt seine schattenhafte Gestalt von einer Künstlergeschichte in
die andere. Immer wieder erschien er als der begeisterte Schüler Michelangelos, der Maler
des Unheimlichen und Gewaltsamen, der rücksichtslose Kritiker unter den Grössen seiner
Zeit, ebenso ungestüm und übermässig im Kunstschaffen wie im Kunstgeniessen, in seinen
Ansprüchen an sich selbst wie an jedermann. Das Erstaunen und Missvergnügen seiner
Zürcher Mitbürger und die in ihrer Unbedingtheit oft etwas eintönigen Ausführungen
seiner englischen Verehrer lebten in wortreichen Darstellungen weiter bis in unsere Tage.
Ueber die Wirkung der Bilder innerhalb der Kunst unserer Zeit, über Farbe, Pinsel-
führung, Zeichnung im einzelnen, Wandlung und Entwicklung im ganzen Lebenswerk des
Künstlers, war aber kaum etwas zu erfahren. Alle diese Berichte gründen sich auf das,
was die Augen längst verblichener Geschlechter gesehen, vielleicht auf eigene Kenntnis
von einigen wenigen Gemälden, vorwiegend nur von meist ungenügenden Stichen aus
dem Anfang des 19. Jahrhunderts.
In Zürich sah man sich einzig auf Zeugnisse angewiesen, die vor der Flucht
nach Deutschland und vor der spätern Entfaltung in England liegen: einmal der Sammel-
band von Jugendzeichnungen aus den Jahren 1751—1760. Er enthält eine grosse Zahl
von Blättern, in denen es überall vielversprechend sprüht und aufblitzt, die aber doch
nur einen Beweis für grosse Anlagen und frühreife Beweglichkeit innerhalb der schwei-
zerischen Ueberlieferung des 16. und 17. Jahrhunderts darstellen. Dann einige Bleistift-
zeichnungen, «Charakterköpfe», auch noch aus den ersten Jünglingsjahren, gewiss
an Lavaters Adresse gerichtet; schliesslich die beiden im Zusammenhang mit dem Zürcher
Aufenthalt bei der Durchreise von Italien nach England entstandenen Gemälde der drei
Eidgenossen und des alten Bodmer im Gespräche mit Füssli. Nach diesem letzten
Aufenthalt in der Heimat lebte und arbeitete Füssli aber noch mehr als vierzig Jahre
in England. Sein Bild erhielt und behielt bis vor kurzem die schattenhafte Unbestimmtheit,
aber auch den ganzen Reiz des Halbbekannten, hinter dem ein jeder, je nach eigener
Anlage, zu wenig vermutet oder zu viel sucht. Und was musste das ferne England in
Bildern und Zeichnungen von Füssli noch an ungehobenen Schätzen behüten.
Die Veranstalter der Berliner Jahrhundert-Ausstellung fanden dazu den Weg. Aus
deutschem Privatbesitz wurden zwei Gemälde beigebracht, die zu dem Füssli, wie er im
Buche stand, nicht übel passten, ein geisselschwingender Puck und eine Unholdin im