DA
Jahresbericht 1914 der Zürcher Kunstgesellschaft
D
Schminke und Geschmeide anmutig einherschwebenden Dame, deren Anblick inmitten
der ernsthaften Schöpfungen des Künstlers unser Empfinden ähnlich störend berühre,
wie wenn Hofdamen in Gesellschaft von Apoll und dem gallischen Fechter pro-
menieren wollten. Diese Gestalten stelle Füssli in völliger Naturwahrheit vor uns hin,
um zu beweisen, wie verächtlich neben ungekünstelter Anmut und einfacher Grösse sie
sich ausnehmen». Ob die sittliche Besserung seiner Mitbrüder Füsslis erste Sorge gewesen
sei, darf unentschieden bleiben. Unbedingt hätte er sich in dem Fall grosse Mühe kosten
lassen, den Teufel recht getreu zu malen; auch in den Skizzen und verstreuten Blättchen
begegnen öfters als einmal ein loses Lächeln, tänzelnde Füsse, flatternde Bänder. In Leipzig
war eine ansehnliche Galerie derartiger Eleganz beisammen. Die muntern Gesichtchen
mit dem kecken Blick, den roten Wänglein und Lippen, den raffiniert gekünstelten Haar-
brachten, den runden Armen, sind jetzt in die Museen von Basel, Budapest und Zürich
und in Privatsammlungen verteilt. Auch die grosse Modedame in ihrer vollen Ge-
wichtigkeit und Würde ist dabei vertreten, nicht nur die anmutig zierliche Spielart. Die
Ausführung entspricht dem Gegenstand und dem Zweck: lichte, aus dem weissen
Grund ausgesparte Gestalten, vor leicht grau oder bläulich getöntem Grund, rosa Tupfen
für Inkarnat und Bänder und Schleifen, die Haare in einer eben noch sichtbaren Schat-
tierung von gelb. Die Blätter wirken in ihrer Aufrichtigkeit wie Scheidewasser auf die so
sehr unterstrichene und doch nicht ganz glaubwürdige Unschuld aller der lächelnden Mädchen
und Frauen der Reynolds, Romney, Hoppner, Morland und ihrer Trabanten unter
den Stechern, wie Bartolozzi, Schiavonetti, J. R. Smith, die ja selbst aus einer Lady
Hamilton einen ahnungslosen Engel machen; vielleicht spottet Füssli gar über seine ge-
feierte Altersgenossin und Landsmännin, die süsse Angelika. Zeugnisse seiner guten Laune
finden sich da und dort auch unter den kleinen Skizzen, Entwürfen und Versuchen, für
lie ihm jedes Mittel, Bleistift, Feder, Pinsel. Kreide, eben recht ist.
Die diesem Hinweis beigegebenen vier Tafeln bringen zuerst das grosse Rundbild
zu einer Szene des Shakespeareschen «Wintermärchen» — der königliche Prinz Mamilius
von einer Hofdame behütet —, das als besondere Stiftung in Leipzig für das Kunsthaus
hat gewonnen werden können; die über die streng geführte Bleistiftzeichnung gelegten
Wasserfarben gehören in die Reihe gelb-blau-braun-grün ; wahrscheinlich ist das Werk in
den 80er Jahren in England enstanden, Dann drei Kreidezeichnungen aus der Studien-
mappe, von denen zwei zeigen, wie Füssli später den Stift führt wenn er nur zeichnet;
wie seine Linien fliessen; wie er eine Bewegung festhält oder eine Gruppe aufbaut. Die
letzte Abbildung, die früheste Zeichnung, ist noch einmal eine Theaterszene, von
ziemlich lockerer Komposition, Der Ausdruck des momentanen Entschlusses und Handelns
gilt Füssli hier mehr als alles. Sah man aber je einen Jüngling einen Kuss so «rauben».
einen Dolch so «gezückt» wie hier?
Das ist Füssli. Diese Zeichnungen geben die Antwort auf die Fragen, die vor seinem
Namen stehen: Ob er uns etwas bedeuten würde auch ohne den Hintergrund seines
Schweizer Bürgerrechts und einer hundertjährigen papierenen Berühmtheit; ob er auch für
uns, nicht nur für seine Zeit gelebt hat.
DO
“1