Volltext: Jahresbericht 1916 (1916)

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Jahresbericht 1916 der Zürcher Kunstgesellschaft 
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Kopien des 17. und 18. Jahrhunderts nach frühern und gleichzeitigen Originalen 
und unrichtige Zuschreibungen sind auch in der Sammlung der Zürcher Kunstgesellschaft 
nicht selten. Trotzdem findet sich in ihren Beständen manches Blatt von guter Haltunng. 
Sogar die in einer Sammlung von bloss gutem Durchschnitt sehr sekundäre Frage nach 
dem Urheber lässt sich da und dort trotz fehlender oder irreführender Bezeichnung be- 
friedigend lösen. 
Die Tafeln I und II und die drei Abbildungen im Text bieten einige Proben aus 
der Zürcher Sammlung und zeigen gleichzeitig wie vom Anfang des 16. Jahrhunderts bis 
in die ersten Jahrzehnte des 17. der zeichnerische Stil sich wandelt. Alle fünf Blätter 
sind Federzeichnungen meist mit dem Pinsel leicht in Schiefergrau oder Sepia laviert. 
An der Spitze steht ein Zürcher Maler, Hans Leu der jüngere. Seine 1513 datierte 
Landschaft besitzt jene Freiheit in der zeichnerischen Abbreviatur, den Schwung der Strich- 
führung, die auch seine schweizerischen Zeitgenossen Niklaus Manuel und Urs Graf aus- 
zeichnet. Diese Schraffen für das ausgebreitete Geäst und die Felsabbrüche, die gebauschten 
Umrisse des Gewölks, der aufstrebende kahle Baumstamm rechts: — man glaubt, die 
rasch über das Papier fegende, geschmeidige Kielfeder noch an der Arbeit zu sehen. 
In der Landschaft selbst lebt Altdorfersche Romantik. Durch eine eigentümliche Unbe- 
stimmtheit der Perspektive wird die phantastische Wirkung noch unterstützt. Das auf S. 32 
reproduzierte Blatt «Narrenstampfe» mit seinen ruhigen, gewichtigen Formen wird durch 
den Katalog dem Maler, Illustrator und Glasmaler Gotthard Ringgli (Zürich 1575—1635) 
zugeschrieben. Es ist aber viel älter und kann höchstens als schweizerisch, um 1540, 
bezeichnet werden, wobei an Bern oder Basel zu denken wäre, wenn nicht eine Zuweisung 
an einen oberdeutschen, etwa einen Strassburger Meister doch eher in Betracht kommt. 
Die Geschlossenheit des Umrisses und das Fehlen aller der reizvollen Schattierungen und 
Freiheiten, die die Feder sonst gewährt, lassen vermuten, dass der Zeichnung eine Holz- 
schnittillustration zu Grunde liegt. Den wahren Gotthard Ringgli zeigt die zierliche 
«Fortuna auf der Kugel». (Die wohlgemeinte Aufschrift des Hans Ulrich Oeri, eines 
Zürcher Goldschmiedes, der mit andern seines Geschlechtes in der Zürcher Sammlung 
ebenfalls vertreten ist, bezeichnet nur den Eigentümer, nicht den Urheber des Blattes; 
eine solche Hand würde ja auch eine Fortuna ganz anders anfassen.) Schlanke Eleganz 
mit weitausgezogenen, weichen Linien schenkt Gotthard Ringgli den Frauengestalten 
seiner biblischen und mythologischen Darstellungen. Die Zürcher Kunstgesellschaft besitzt 
davon etwa ein Dutzend, darunter eine zartblau und rosa fast süsslich kolorierte Bade- 
gesellschaft der Diana. Seine im übrigen nur schwache Eigenart hat verschiedentlich 
ermutigt, ihm eine Reihe von unbenannten Arbeiten anderer Zürcher Zeichner und Glas- 
maler unterzuschieben. 
Die bedeutendste Erscheinung unter diesen Zürcher Meistern ist Christoph Murer 
(1558—1614), Maler, Illustrator, namentlich aber Glasmaler, und als solcher der höchst- 
geschätzte und meistgeehrte seiner Zeit. 1585 war er von Strassburg, wo er, wie seiner- 
zeit Tobias Stimmer, als Formschneider gearbeitet hatte, in die Vaterstadt zurückgekehrt. 
Chr. Murer überträgt die Bewegung von den Hauptlinien nun auch in alle Einzelheiten 
der Darstellung. Ein inneres Ungestüm scheint seine Figuren bis in die Fingerspitzen 
zu durchbeben, auch die Landschaft nimmt an der Erregung teil. Das auf Tafel IL abge-
	        
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