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Jahresbericht 1919 der Zürcher Kunstgesellschaft
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sich begegnen; das Wasser darunter fliesst über fleissig gefügte Bohlen. Wasser, Wiesen,
Bäume vereinigen sich auch im Vordergrund des Blattes von Ludwig Hess, die ernsten
Linien des Gebirges schliessen das Bild zu ähnlicher Stille, wie das Gewebe von Busch
und Wald die Landschaft Salomon Gessners. Auch wo nur ein Blick über Wiese und
Fluss nach dem friedlichen Höngg geboten wird, sind hohe Bäume wie Säulen in die
flache Au gestellt, als Herrscher über die Niederung und über Mensch und Tier, Emanuel
Steiner lässt gegenüber einer Gruppe von Pinien eine schwere antike Turmruine über
Busch und Landschaft aufsteigen; vor ihr bleiben die drei Enthusiasten, die von der
Wiese aus ihre Blicke zu der Trümmermasse erheben, in ihren langen Röcken klein und
belanglos. Als lyrische Landschaften, Landschaftslieder, mag man diese in der Stimmung
so reinen, in der Form so gepflegten kleinen Kunstwerke wohl empfinden und benennen.
Nicht weit von den Gouachen Gessners hängen zwei Sepiazeichnungen von J. R.
Schellenberg. Im Motiv scheinen sie jenen ähnlich. Eine innere Verwandtschaft besteht
nicht. Auch hier zwar baden Mädchen in der Waldeinsamkeit oder liegt eine Schlummernde
in leichtem Gewand. Aber Bach, Wald und Fels sind nur Kulissen für ein Geschehnis.
Bei Gessner bergen sich zwei Frauen vor einem unsichtbaren Späher, vielleicht nur vor
ihrer eigenen Angst. Schellenberg zeigt uns den Störefried im Busch und das Wechsel-
spiel zwischen ihm und den überraschten Mädchen. Ueber der Schlafenden erscheint der
Lauscher, der sie mit Blumen bestreut, das Hündchen entdeckt ihn und wird im nächsten
Augenblick die Herrin wecken. Die Menschen und ihre so wichtigen Obliegenheiten sind
dem Künstler auch Anlass für die mit nackten Kindern ernsthaft-komisch gespielte Amts-
szene. «Charakter»-Figuren, in Haltung und Gebärde von Amt und Beruf geprägt, will
H. Freudweiler in zwei feinen Rötelzeichnungen geben; eine Gesellschaftszene das eben-
falls ihm zugeschriebene grosse Aquarell, wo Damen und Herren im künstlich erhellten
Zimmer beisammen sind, die Damen zeichnend in das Studium einer Gipsbüste versenkt; die
Kavaliere wohnen als stille Zuschauer oder Kritiker bei, indes die Flamme ihre Schatten
an die Wand malt. Das Bild ist unmittelbare Illustration; aus dem Leben der Zürcher
Bürgerschaft selbst herausgewachsen. «An den langen Winterabenden versammelten. sich
Brüder und Schwestern im geräumigsten Zimmer, gleichstrebende Freunde wurden ein-
geladen, und beim Schein der Lampe frisch drauflos gezeichnet.» Dies war in der so
vielseitig angeregten Zeit vor der grossen Revolution, als in Zürich die Künste blühten
— oder doch eifrig gepflegt wurden —, in der Zeit Salomon Gessners, Lavaters, der
Füssli, als Martin Usteri jung war und die Künstlergesellschaft gegründet wurde.
Der Mensch und seine Menschlichkeiten sind auch für D. Chodowiecki der einzig
würdige Stoff. Die Landoltsche Sammlung enthält die Darstellung einer Staroperation.
Mit raschen aber sicher treffenden Federzügen drängt er eine wohlgepflegte Gesellschaft
in brennendem Wissensdurst — oder unanständiger Neugier — um den Arzt und den
Patienten und stellt daneben schattenhaft das arme Volk, das auf der Bank gereiht in
Ergebenheit, doch etwas ängstlich, der eigenen ärztlichen Behandlung gewärtig ist. Der
mit der Zeichnung ausgestellte Umrißstich nach dem gleichen Vorwurf vergröbert und
löst die Einzelheiten aus dem Zusammenhang und verzerrt das Ganze mehr nur ins
Merkwürdige und Drollige. Zur eigentlichen Karikatur gelangt Salomon Landolt. Was
hat der alte Jägeroberst in dem farbigen Blatt über das Treiben des fremden Kriegs-
volkes in den engen Gassen von Zürich für Spässe untergebracht! Ueber den Räuber-
gestalten der Kosaken und den Handgreiflichkeiten, die sich auf der Strasse zutragen,