2
Jahresbericht 1919 der Zürcher Kunstgesellschaft
25
verwehrt er dem Blick nicht den Eintritt in die Häuser, wo auch allerlei zu sehen ist.
Vor einem offenen Kramladen steht eine Schöne in hochgegürtetem weissem Kleid in
Unterhaltung mit einem grünen Offizier; nachdenklich streicht ihre linke Hand über
einen schwarzen Kater; oben beugt sich unter dem ominösen Hauszeichen ein Ehemann
mit Pfeife und Zipfelmütze aus dem Fenster. Aus dem Nebenhause blickt eine zarte Theo-
logengestalt in tabakbraunem Rock und schwarzem Käppchen; eine weisse Taube fliegt zu
ihren Häupten am Fenster vorbei; man spürt die Versuchung, sie symbolisch zu nehmen
als Heiligen Geist in Person; ist es das Haus zum Waldries, in dem der jüngst verblichene
Lavater als Erscheinung sich wieder zeigt? In einer malerisch breiten Pinselschrift, die
an Grösse der Bewegung‘ und Empfindung den bunten Kleinkram der schliesslich doch
mehr beziehungsreichen als kunstreichen Darstellung weit hinter sich lässt, hat der Autor
auf der Rückseite des Blattes sich verewigt: „Die Folgen der Freyheit, von Salomon
Landolt alt Landvogt, im 60. Jahr meines Alters, Engi 1801.“
Moral, freilich nicht in grimmigen Spässen, sondern in etwas langatmiger, freund-
‘icher Unterweisung, predigt auch Martin Usteri mit den zierlichen Bildchen zum
„goldenen Halskettlein“. Die peinlich ausgemalten neun Blättchen mit dokumentarisch
getreuer, altertümlicher Ausstattung entsprechen genau der von F. Hegi in Aquatinta
1809 veröffentlichten Folge, nur dass das zweite Bild fehlt. Die Zürcher Kunstgesellschaft
besitzt im künstlerischen Nachlass Usteris eine etwas freier und grösser entworfene erste
Fassung. Mit reichlichem Sentiment durchtränkt sind auch die kolorierten Blätter von
S. Freudenberger. Der geschmeidige Kleinmeister rivalisierte in Paris als Schüler von
Boucher und Greuze mit den ersten Modezeichnern wie Moreau le Jeune und verwandten
Zeitgenossen. Nach der Rückkehr in die Schweiz übertrug er die zierlich-spielerische
Manier, die ihm in den Boudoirs und Salons der Großstadt die ersten Erfolge gebracht
hatte, ohne Beschwerde auf die schweizerisch-ländlichen Stoffe seiner Heimat, um sie in
aitel Wohlgefallen und Lächeln aufzulösen. Um weniges natürlicher gibt sich sein Schüler
Nikolaus König. In einer aquarellierten Zeichnung setzt er neben ein sauberes Plänchen
der Petersinsel voll guter Laune als Vignette gleich den botanisierenden Naturfreund in
Gesellschaft von zwei weissen Kaninchen, des Malschirms und der Zeichenmappe. Ebenso
zart, weiss in weiss mit nur gehauchten rosa Tönen für Gesicht und Haarband ist ein
dem W. Tischbein zugeschriebenes Frauenbildnis, wahrscheinlich eine Zürcher Dame.
Spielfreude und heitere Selbstvergessenheit begegnen nach der Umwälzung und der
Jahrhundertwende nicht mehr. Der „Monsieur Perrot de Neuchätel, Maire de Bevais“
von F. M. Diogg und der Waadtländer oder Genfer Weinbauer von F. Sablet zeigen
bewusste Spannkraft in Haltung und Miene. Sie blicken schärfer und kühl. Die Künstler
sehen jetzt anders und fassen härter an. Das Neuenburger Bildnis von Diogg, im
strengsten Profil, ist von einfach unerschütterlicher Festigkeit und Geschlossenheit, ohne
jede einladende Gebärde. Der Beschauer mag sorgen, dass er sich auf diesen Ton einstellt.
Kein Zweifel auch, dass im Jahre 1805 die Zeitgenossen wesentlich auf diesen Ton
schon eingestellt waren.
Zwei komponierte Landschaften von J. H. Meyer, die eine 1797 datiert, fallen noch
einmal in die Sentimentalität der ältern Generation zurück. Die äussern Mittel versuchen
sie bei Salomon Gessner zu entlehnen. Das eine Blatt zeigt sogar dessen Grabmonument,
eine bekränzte Urne unter einem Baumzelt, mit rieselndem Bach und zwei klagenden
Gestalten, aber sein Geist ist nicht gegenwärtig; das andere ist ein harmloser Ausblick