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Jahresbericht 1935 der Zürcher Kunstgesellschaft
Tradition mit einer neuzeitlichen, freier um sich blickenden Beweglichkeit erwachsen ist.
Es ist verständlich, dass er mit der Erscheinung des Kunsthauses erst für weitere Kreise in
das Gesichtsfeld tritt, und auch für manche, die ihm schon früher nahe gekommen sind,
in der Erinnerung als das würdige Ehrenmitglied der Kunstgesellschaft (seit 1910) bleiben
wird. Die Zeit nach 1910 ist reife, wohlverdiente Ernte; in den vorausgegangenen zwei
Jahrzehnten hat er der Kunstgesellschaft seine männliche Spannkraft und tätige Energie
geschenkt, zur Ueberwindung der schlimmen Wechselfälle und Rückschläge auf dem Weg
zum Kunsthausbau und der vielen, manchmal betrübenden, oft auch nur tragikomischen
Anfeindungen, die sie in jener Zeit der Kunstumwälzungen und Hodlerkämpfe von ihren
Feinden und Freunden zu erdulden hatte.
Es waren die Jahre der reich aber nicht unangefochten aufblühenden jungen Schweizer
Kunst. Paul Ulrich stellte sich in ihren Dienst mit der Bildung und Leitung einer
schweizerischen Abteilung innerhalb des Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am
Rhein. Die Schweizer Künstler nahmen die Auswirkung seiner Tätigkeit gern entgegen
in Form der meist reich illustrierten Würdigungen, die seit diesem Zeitpunkt (1907/08)
in den Heften der Verbandszeitschrift «Die Rheinlande» zu erscheinen begannen und
Meistern wie Gattiker, Buri, Hodler, Würtenberger, Kreidolf, Amiet, Sturzenegger, Brühl-
mann, Giovanni Giacometti, Rodo von Niederhäusern, H. Altherr, Pellegrini, Huf, Haller,
C. Burckhardt galten; als Ausstellungs- und Verkaufsmöglichkeit in den Verbands-
ausstellungen und gelegentlichen Sonderausstellungen, als anregende Tauschausstellungen
Deutschland - Schweiz, und als Möglichkeit zur Anknüpfung persönlicher Beziehungen
zwischen deutschen und schweizerischen Kunstfreunden und Künstlern. 1909 folgte die
Berufung in die Schweizerische Kunstkommission für eine Amtsdauer von drei Jahren;
1911 die Wahl zum Präsidenten des Schweizerischen Kunstvereins; als solcher trat er nach
ehrenvoller Amtsführung 1919 zurück, blieb aber 1920/24 Quästor, von 1924/30 noch
Mitglied des erweiterten Geschäftsausschusses.
Bei der Zürcher Kunstgesellschaft, für die er bei einem Bestand der Künstler-
gesellschaft von 120 Mitgliedern und mit dem unbestimmten Wunschbild eines künftigen
Kunstgebäudes von seinem Vater das Amt eines Hausinspektors übernommen hatte, um in
treuem Dienst von anderthalb Jahrzehnten Leiter einer Vereinigung von über 1400 Personen
und Kunsthaus-Bauherr zu werden, behielt er die Zügel bis zum Jahre 1916 in sicherer
Hand. Sein Rücktritt als Präsident bedeutete nicht den Rücktritt von weiterer Arbeit für
das Kunsthaus, noch von 1916 bis 1922 und von 1917 bis 1920 widmete er sich den Ge-
schäften der Sammlungs- und der Finanzkommission. Mit dem Augenblick, da er sein
letztes Amt aufgab, stellte er sich Jahr für Jahr mit einem Beitrag an den Betriebsfonds
ein, und über den Tod hinaus ging seine Sorge für das Kunsthaus mit einem Vermächtnis
an den Sammlungsfondes.
In den späteren Jahren bedrängten ihn zeitweise gesundheitliche Störungen, es drohte
ihm vorübergehend Erblindung. An der 25-Jahrfeier des Kunsthauses im Mai 1935 nahm
er neben Herrn Dr. G. Schaertlin als zweiter ehemaliger Präsident und hochgeschätzter
Ehrengast teil. Am 21. Oktober fällte ihn die Krankheit. Das Bild an der Spitze dieses
Heftes zeigt ihn im vollen Besitz seiner Kraft, kurz nach der Vollendung des Kunsthauses
im Jahre 1910, W. Wartmann.