Full text: Jahresbericht 1936 (1936)

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Jahresbericht 1936 der Zürcher Kunstgesellschaft 
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Menschen einfallen sollte, sie an einander zu messen. Daß und wie dies durch Herrn Tanner 
geschieht, bezeichnet schon seine Denkart und seine Einstellung gegenüber dem Kunsthaus. 
Die primitive Regung vor einem Bild ist beim Kunstfreund: möchte ich es haben? 
beim Händler: könnte ich es verkaufen? Die Ausstellung wiederholt diese Frage viele 
Male, sie stellt den Beschauer aber auch in den Bannkreis der Persönlichkeit, die aus den 
Werken spricht, und die er ganz «begreifen», abtastend nach allen Dimensionen in ihrem 
wahren und ganzen Wesen fassen möchte. Es ist Sache seines Temperaments, ob er dabei 
Beweise für die Erhärtung eines ihm teuren, entweder selbsterworbenen oder fertig ent- 
liehenen Begriffes sucht oder in neuer Auseinandersetzung am neuen Stoff einen besseren 
zu gewinnen hofft. Man will innerhalb der Vorstellung von der Natur des Meisters unter 
den Werken die «typischen» erkennen und wird vor neuen, unerwarteten Werken wieder 
gezwungen, an der bisherigen Vorstellung Fassaden abzubrechen und Anbauten zu machen. 
Dieses Neuformen, Präzisieren, Erweitern von mitgebrachten Begriffen, die unverrückbar 
und eindeutig schienen, das Wägen, Prüfen, Annehmen absolut oder mit Vorbehalt, Ab- 
lehnen und doch noch im-Auge-behalten, erfüllt für den Betrachter sich als Kritik zur 
eigenen Klärung und Bereicherung; wobei, vollständig frei von irgendwelcher Beziehung 
zum Tagewerk beruflicher Bemühung, nur Mensch und Künstler, Geist und Geist sich 
begegnen. 
Herr Schoeller ist Gentleman-dealer, das heißt, Dealer und Gentleman, im besonderen 
Sinn, darin, wie er bei seinem kurzen Besuch der Zürcher Courbet-Ausstellung den verbind- 
lichen Ton eines Gesprächs unter Liebhabern innehielt. Der eine seiner Begleiter hat am 
27. März dem Direktor des Kunsthauses darüber sehr lebendig und anschaulich erzählt. Er 
selber, der Begleiter, sei eigentlich viel skeptischer gewesen als Herr Schoeller, so habe er 
diesen gefragt, was er denn von der großen frühen Landschaft Kat.-Nr. 14 (Tafel X im Kata- 
log) halte, worauf Herr Schoeller lächelnd entgegnet habe, hier könne er nichts sagen, das 
Bild gehöre ihm (er hat sich Erklärungen mit Fug ersparen können, das Bild ist ein berühm- 
ter alter Kämpe seit dem PariserSalon von 1849) ; auf den Vorwurf der Unechtheit gegenüber 
der Charente-Landschaft, Kat.-Nr. 65, habe Herr Schoeller erklärt, es sei nicht ein über- 
ragend gutes Bild, aber echt; und auf geäußerte Zweifel gegenüber Nr. 78 sehr nett und 
überzeugend nachgewiesen, daß das Bild künstlerisch sehr gut sei und von Courbet sein 
müsse (er hätte es auch kürzer machen können, auch dieses Bild kam von ihm). «Aber 
das Blumenstilleben Nr. 67 (Sacha Guitry) könne doch unmöglich von Courbet sein», 
darauf Herr Schoeller, auf die oberste Blumenglocke hinweisend: das könne nur ein großer 
Meister wie Courbet gemalt haben, das Bild sei unbestreitbar echt; gegenüber Nr. 101 
«Femme nue allonge&e dans un bateau» habe Herr Schoeller die Zweifel des Begleiters be- 
siegt durch Hinweis auf die Meisterschaft, die etwa im Knie der Figur oder im braunen 
Fell liege, und ebenso von dem durch den Begleiter ausgesprochenen Verdacht der Unecht- 
heit, die kleine Landschaft «Soleil de couchant ä Douarnenez», Kat. Nr. 103, erfolgreich 
als «malerisch sehr fein» gereinigt; die Schneelandschaft Nr. 102 (Tafel 53 bei Leger) 
habe der Begleiter als zweifelhaft bezeichnet, Herr Schoeller sie in Schutz genommen, 
dann aber noch einmal vor das Bild zurückgehend voll Courtoisie eingeräumt, vielleicht 
habe‘ der Begleiter doch recht, wenn er sie für falsch halte (Herr Tanner hat trotzdem 
dieses Bild nicht auf seine schwarze Liste genommen); bei Kat. Nr. 126 «Le miroir de 
Scey» habe Herr Schoeller zugegeben, das Bild erscheine weichlich und flau, doch sehe er 
darin die Hand von Courbet, es müsse nicht abgelehnt werden. Man sieht, die überlegene
	        
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