Full text: Jahresbericht 1936 (1936)

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Jahresbericht 1936 der Zürcher Kunstgesellschaft 
DO 
Aus einem Brief vom 16. Januar an seine Schwester Zo& in Paris wissen wir, daß Cour- 
bet keinen guten Winter hinter sich hat. Er sei stets mehr oder weniger krank gewesen 
mit Rheumatismus und Leberschwellung und habe voll Kummer über seine Angelegen- 
heiten bis mittags im Bett gelegen, ohne den vielen Bestellungen auf Bilder nachzukom- 
men. Und doch war er nach Ornans zurückgekehrt, um sich von dem bewegteren Winter 
1871/72 zu erholen. 
Am 2. September 1871 hatte das Kriegsgericht in Versailles ihn wegen angeblicher 
Mitwirkung bei der Zerstörung der Vendöme-Säule zu sechs Monaten Gefängnis, 500 Fr. 
Buße und den Prozeßkosten verurteilt. Die Zeit von Ende September bis Ende Dezember 
verbrachte er im Gefängnis Sainte-Pelagie, bis ihm wegen der Notwendigkeit besonderer 
Pflege der Umzug als Gefangener auf Ehrenwort in das Privatspital eines Monsieur Duval 
in Neuilly gestattet wurde. Noch im Gefängnis empfängt er Besuche von Verwandten und 
Freunden. Nach den Geschenken, die sie ihm brachten, malte er Blumen- und Früchtestil- 
leben. Am 28. Dezember ist er noch krank hinter Gittern. Am 1. Januar 1872 bewillkommt 
ihn in Neuilly ein Glückwunschbrief von Boudin, der auch im Namen von Monet und 
andern Malerfreunden ihn begrüßt. Am gleichen Tag überreicht er der Gattin von M. Du- 
val abends ein Bild nach einem ihm am Morgen übergebenen Orangenzweig. 
Von nun an ißt er mit der Familie, spaziert im Park, ladet Gäste ein. Ende Januar 
bringt ihm die schon längst vorgesehene Operation große Erleichterung. Er lebt nun voll- 
ends wieder auf, stürzt sich in die Arbeit und verlängert nach dem Ablauf seiner Haft, am 
2. März, den Aufenthalt bei M. Duval noch um zwei Monate. Er habe, schreibt er nach 
Ornans Anfang Mai, bei diesem in vier Monaten 50 Bilder gemalt und alle verkauft. Das 
Courbet-Buch von Georges Riat zählt sie auf, soweit sie festzustellen sind. Für den Januar 
nennt es ein Bildnis von M. Pasteur und eine «Truite» bei M. Pasteur. Courbet meldet 
Anfang Februar 1873, daß er an M. Pasteur das Bildnis eines M. Aube de la Houble für 
1060 Fr. verkauft habe. Daraufhin kündigt der Brief vom 20. Februar schon wieder eine 
Sendung an, zwei fertige Bilder, die Forelle und eine Landschaft aus der Nähe von Scey- 
en-Varay, wie Courbet schon zum historischen «Salon» von 1849 eine gesandt hatte, und 
drei, die er erst fertig zu malen verspricht. 
Auf den Gegenstand seiner Sorgen wird in unserm Brief hingewiesen. Im neuen Jahre 
hatten Verschiebungen in den Pariser politischen Verhältnissen die Partei vorangestellt, 
die in tödlicher Feindschaft Courbet nach dem für sie allzu milden Verlauf des Strafpro- 
zesses nun auf dem Zivilweg für die Wiederaufrichtung der Säule belangen wollte. Im 
Augenblick, wo er die Gefahr eines Kammerentscheides beschworen glaubt, ist schon ein 
Brief des Freundes Castagnary aus Paris mit der Nachricht unterwegs, daß im Gegenteil 
ein dahingehender Gesetzesentwurf in die Tagesordnung der Kammer aufgenommen Wwor- 
den ist. Von diesem Augenblick an folgen die Räumung seiner Bilderdepots, die Ver- 
schreibungen seines Besitzes an Verwandte und Freunde, die Zugriffe der Staatsgewalt 
mit Beschlagnahmungen allerorten und schließlich die Flucht in die Schweiz am 23. Juli. 
«En mettant sur la truite l’epitafe, on verra qu'il fait bon en prison». Gerade weil diese 
Inschrift eine Datierung sein will, ist ihre Gültigkeit für die Datierung des Bildes in Zweifel 
gezogen worden. Charles Leger setzt sich über sie hinweg und verlegt das Bild in das Jahr 
1873; wohl weil er sich als Rationalist sagt, die brillante Malerei sei mit dem Zellenlicht in 
Ste-Pelagie so wenig vereinbar wie ein so feiner Bissen mit der Gefängniskost oder eine 
Forelle überhaupt mit Paris. Die Frage kann aber auch etwas behutsamer angefaßt wer-
	        
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