Volltext: Jahresbericht 1939 (1939)

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Jahresbericht 1939 der Zürcher Kunstgesellschaft 
Wenn der Meister der Darmstädter Passion als Zeitgenosse des Konrad Witz aus der 
Mitte des 15. Jahrhunderts betrachtet wird, so zeigt ein Hinweis auf die als Tafel II hier 
abgebildete «Begegnung» und die entsprechende Darstellung vom Olsberger Altar des 
Konrad Witz im Basler Museum den Unterschied der Temperamente und der künst- 
lerischen Vorstellungs- und Gestaltungskraft der beiden Meister. Neben der statuarischen 
Wucht und der Fülle von Konrad Witz ist der deutsche Meister malerisch, leicht, zier- 
lich, beweglich. 
Tafel III Nicolas Poussin, 1594—1665, 
Schlafende Venus von Satyren belauscht. 
Oel auf Leinwand, 100X77 cm. 
Die unbekleidete Göttin liegt schimmernd, wie die Perle in der Muschel, in ihrem 
Rahmen von dunkleren Gestalten, bräunlichem Erdreich, braungrünen Baumkronen und 
graugelblichem Gewölk. Die übergroßen braunen zwei Gesellen, der von Schatten über- 
deckte Amor und das stumpf rote Tuch, auf dem er liegt, und wo bei Köcher und Pfeilen 
auch die zwei weißen Tauben sich niedergesetzt haben, bilden ihre engere, kunstreiche 
Fassung. Und wie die Zartheit der Haut, das gelöste braungoldene Haar, die Weiße des 
Lagers diese überstrahlen, so der Adel ihrer Glieder, die täppischen Gebärden der zwei 
Ruhestörer und die rundliche Unschuld des Knäbleins. Abgewandt, unbeteiligt, beschäf- 
tigen im Frieden des zweiten Planes zwei Männer sich mit vom Weinstock hängenden 
Trauben. 
Das Zürcher Bild ist erkennbar in der Beschreibung von Nr. 237 des Poussin-Kataloges 
III, 1837, von Smith und wiedergegeben in einem Kupferstich von 1760 von Jean Daulle. 
Für die neuere Forschung war es verschollen. Otto Grautoff kennt in seinem Poussin-Werk 
von 1914 nur das durch ihn 1628/30 datierte kleinere Hochbild von 50,5X66 cm der Lon- 
doner Nationalgalerie, das mit der Darstellung des die Göttin enthüllenden Fauns, eigent- 
lich mit der Figur der liegenden Venus allein, die ganze Bildbreite füllt; die Landschaft 
tritt damit stark zurück, aber auch die Stellung des Amor und die Größenverhältnisse der 
vier Figuren unter sich sind anders als im Zürcher Bild. 
Dem gegenüber ruft das Zürcher Bild nach Konfrontation mit Kompositionen wie das 
kleine Bacchanal des Louvre (136X97 cm) und erscheint geradezu als Zwilling der bekann- 
ten Dresdener Venus (96X71 cm). Grautoff schließt solche Bilder an die Kopie von Poussin 
von 1628 nach der Ariadne des Tizian und nennt sie «tizianesk». Das Motiv des indiskreten 
Fauns findet er für Poussin in dem Riesenbild «Jupiter und Antiope» des Tizian (4 m 
breit, 2 m hoch, im Louvre), das als «Venus del Pardo» 1624 aus dem Palast Pardo (diesmal 
nicht: Prado) in Madrid dem spätern König Karl I. nach England geschenkt und 1650/51 
durch den französischen Bankier Jabach erworben wurde und nach Paris gelangte. Nicht 
weniger überzeugend ist der Hinweis auf das antike Relief des eine Mänade enthüllenden 
Satyrn in der Villa Ludovisi in Rom. Poussin war wohl von 1624 bis zu seinem Tode in 
Rom, doch nicht in Madrid und nicht in England, und von Rom aus wieder in Paris nur 
von 1640 bis Ende 1642. Seine Kenntnis des damals schon berühmten Bildes von Tizian aus 
einem Kupferstich oder einer Kopie ist freilich denkbar, und schließlich könnte sogar in 
den zwei stillen Poussinschen Traubenessern eine Antwort auf die Dreiergruppe mit Hund 
enthalten sein, die bei Tizian an den gleichen Baumstamm sich lehnt wie seine Schläferin.
	        
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