Jahresbericht 1946 der Zürcher Kunstgesellschaft
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Beilage III
Beschreibung der abgebildeten Werke
GOYA
Los Desastres de la Guerra
Tafeln I—VI
«Fatales consecuencias de la sangriente guerra en Espafia con Bonaparte y caprichos
enfaticos» — «Verhängnisvolle Folgen des blutigen Krieges in Spanien gegen Napoleon,
und hochgestimmte Improvisationen» —, so nennt Francisco de Goya y Lucientes die achtzig
Radierungen in kleinem Breitformat, die er in einem Abstand von mehr als zehn Jahren
den achtzig Blättern der «Caprichos» folgen läßt, und denen nach 1810 die nach der Platten-
bearbeitung und Plattenzahl unvollendeten 18 «Suefios» — «Träume» — oder «Disparates» —
«Torheiten» — nach späterer Bezeichnung «Proverbios» — «Sprüchwörter» —, und 1815 die
dreiunddreißig Blätter der «Tauromaquia» — «Stierkampf» — sich anschließen. Der unbe-
stimmtere Titel «Desastres de la guerra» — «Schrecken des Krieges» — ist der ersten Gesamt-
ausgabe der Sammlung 1863 durch die königlich spanische Kupferdruckerei übergestülpt
worden. In dieser Zeit auch erscheinen erst die Nummern 1—80 und die Unterschriften auf
den Bildern. _
Der Geburtstag von Goya ist der 31. März 1746. 1792 überfällt ihn schwere Erkrankung,
mit welcher vielleicht ursächlich, in jedem Fall zeitlich, seine Taubheit beginnt. Bis dahin
ist vom Jünglingsalter an sein Leben ein glänzender künstlerischer und gesellschaftlicher
Aufstieg, sein Werk von 1772 an eine großartige Kette von Meisterleistungen als Fresken-
und Kirchenmaler, Kartonzeichner für Wandteppiche, Porträtist, Historienmaler. 1780 schon
ist er Mitglied der Akademie in Madrid, 1789 Hofmaler des Königs. Die künstlerische
Flamme setzt nach der Krankheit und mit dem allmählichen Verlust des Gehörs nicht aue.
Noch während drei Jahrzehnten übertrifft Goya sich in immer neuen Bildnissen und Kom-
positionen, Seine Einstellung zur Umwelt ist aber verändert. Er lebt nun mehr im Angesicht
ihrer Mängel als ihrer Schönheit. Das Selbstbildnis, mit dem er das ursprüngliche Titel-
blatt der Caprichos ersetzt, zeigt ihn in Abwehr und Verschlossenheit. Die Folge der Capri-
chos atmet Strenge und Bitterkeit. Die Blätter sind Allegorien, Plakate gegen Formen der
Gesellschaft seiner Zeit. Er geißelt Zustände und Figuren, über die er sich ärgert und
empört, an denen er Schiefheit, Unrecht, Bosheit, Dummheit sieht.
Die Desastres sind anderer Art als die Caprichos nach Thema und Form. Am 18, März
1808 wichen Goyas königlicher Gönner Karl IV. und der Günstling der Königin Godoy
einem Aufstand in Madrid, und am 24. März wurde Karls Sohn König Ferdinand VII.
Schon waren aber Truppen Napoleons in Spanien einmarschiert und hatte Joachim Murat,
als Schwager von Napoleon, Madrid besetzt. Im April zwingt Napoleon den jungen König
zum Rücktritt und verfügt die Internierung der ganzen königlichen Familie, Vater Karl und
Sohn Ferdinand, mit ihren Frauen, Prinzen und Prinzessinnen in Bayonne, jenseit der
Pyrenäen. Nun erhebt sich Madrid. Murat schießt mit Kanonen. In wilden Straßenkämpfen