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Jahresbericht 1946 der Zürcher Kunstgesellschaft
geschlossen. Das Bild des Kunsthauses ist weniger beruhigt im Mosaik der Farben und weist
neben diesen ungedeckte Stellen auf. Hat der Künstler diese in die Rechnung des groß und
ernst gehaltenen Bildes gestellt? Hat der Tod ihm die Fertigstellung nicht mehr erlaubt?
Hat er gezögert, Hand anzulegen in der Angst, die jeder Künstler kennt, durch ein nicht
voll mitklingendes und damit trübendes letztes Glied die absolute Reinheit und Fülle des
Klanges zu stören, zu zerstören? Als Werk von Cezanne ist es auch in seiner anscheinenden
äußeren Unvollkommenheit künstlerisch vollkommen. Die Dimensionen des Bildes sind:
Breite 83 cm, Höhe 63,5 cm.
MUNCH
Damenbildnis; Hafen von Lübeck
Edvard Munch, 1863—1944, ist für Nord- und Mitteleuropa ein großer Anreger gewor-
den wie Cezanne für die Malerei in Frankreich und in der ganzen Welt. Wenn Cezanne zum
Vollender und Ueberwinder des Impressionismus auf dem Weg zu einer absoluten Malerei
gestempelt worden ist, so wird Munch nicht selten als Mitarbeiter am Jugendstil und am
Expressionismus verstanden, vielleicht auch mißverstanden. Sein nordisches Wikingerblut
treibt ihn zu raschem Besuch oder längerem Verweilen durch viele Städte und Länder.
Doch verliert er deswegen nie das Wesen und das Mark seines Stammes und findet für den
Sommer aus dem heißen Europa immer den Weg in sein nordisches Land für neue Inspi-
ration und Arbeit. Das Damenbildnis von 1913 (85/120 cm, Tafel XIII) und das Hafenbild
von 1907 (121/81 cm, Tafel XIV) weisen für einmal nach Deutschland. In Berlin und in
Lübeck hatte Munch verstehende Freunde und Helfer gefunden, als er solche sehr nötig
hatte.
Die Malerei ist in beiden Bildern sehr hell und frei. Sie atmen in breiten Flächen von
blühenden, sprühenden Farben. Tiefblau, hell Blaugrün, hell Gelb, Rosa-Lila, Feuerrot,
Weiß im Figurenbild; Lila, Blau, Schwarzviolett, Hochrot, Gelbrün, Lichtblau, Rosa, Saft-
grün, Blaugrau in der Landschaft. Indessen 1äßt die Malerei von Munch nicht nur den
Farben, sondern auch noch den Dingen ihre Funktion. Die kluge Dame aus Berlin ist ein
menschliches Wesen in seiner eigenen, nur ihr zugehörenden Art. Sie sitzt und blickt, die
Arme ruhen, die Hände ruhen; doch nur im Moment, so lange eben sie dem Maler still-
halten muß. Innerlich ist sie ganz Spannung. Sie federt; im schmiegsam gleitenden Umriß
vom Scheitel zur Fußspitze, im Fließen und Strömen der Farben. Im Hafenkanal liegt der
schwere Dampfer, in fast totem Wasser, gefangen zwischen engen Ufern. Doch auch in das
Schiff legt der Künstler die Verheißung von Kraft und Bewegung. Die Nähe des Meeres,
der großen Weite, liegt in allen den flach gestreckten Formen, die sich dem Auge bieten.
Wenn auch das Schiff noch still liegt und nur die schwankende Spiegelung seinen Umriß
und Bau als «Wogengänger» uns enthüllt, so zielt es mit allem, womit der Künstler es
befrachtet und umgibt, nach Fahrt und Freiheit, nach dem offenen Meer.