Full text: Jahresbericht 1956 (1956)

Streifen mit fixierter Breite sein gleich dem Weiß. Es kann aber 
auch eine ins Unendliche sich dehnende Fläche sein, die im 
rechten Winkel rechts ihren Anfang nimmt. Das Blau kann 
eine Fläche sein, die, von einer Geraden begrenzt, sich un- 
endlich weit ausdehnt, oder die unsichtbar in einem rechten 
Winkel an der verlängerten Horizontalen beginnt. Schließ- 
lich könnte am unsichtbaren Schnittpunkt von horizontal und 
vertikal eine andere Fläche entstehen. (Wahrscheinlich eine 
rote, die sich ins Unendliche ausdehnt von diesem rechten 
Winkel aus.) 
Nun, was bedeutet diese Aufzählung der Möglichkeiten, 
ohne daß man etwas beweisen könnte! Sie zeigen das Schema, 
an dem unser Denken und Empfinden sich entwickeln kann. 
Dies ist lediglich eine der Möglichkeiten dieses im ersten An- 
sehen so einfachen Bildes, wahrscheinlich nicht einmal jene, 
die Mondrian im Sinn hatte. Dennoch ist sie vorhanden und 
nachweisbar. Sichtbar ist jedoch das rein Materielle dieses 
Bildes: seine realen Flächen und Linien und Farben: die 
Beziehungen dieser Elemente zur Gestalt als Ganzes: die 
Unbedingtheit der Ordnung: die Klarheit der Komposition. 
Und schließlich das dynamische Gleichgewicht, das Mondrian 
in allen seinen Werken anstrebte. 
Doch scheint ein ganz wesentlicher Wert dieses Bildes 
darin zu liegen, daß es Mondrian hier gelungen ist, die reale 
Erscheinung, in ihrer absoluten und strengen Gebundenheit, 
zu verbinden mit einer Offenheit der möglichen Vorstellbar- 
keiten, die dem Betrachter die Freiheit lassen, und zu denen im 
Bild selbst, gleich einer wohl geordneten Spielregel, lediglich 
der Nukleus fixiert ist. 
Max Bill 
4" 
f
	        
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