Zerdehnung als eigenes Formprinzip herauszustellen, so kom-
men wir bei der Gestaltungsweise der neuen Bronze des
Kunsthauses mit der Erklärung als «Gleichzeitigkeit des
Ungleichzeitigen> allein gar nicht mehr zum Ziel. Von den
Füßen her bis auf die Höhe der Brust und noch einmal am
Halse hat sich die Tendenz zur Streckung der Vertikalen der-
art ausgewirkt, daß die anderen Dimensionen schon kaum
mehr zur Wirkung gelangen. Die Senkrechte wird zudem
noch unterstützt durch die tiefen, gewellten Faltenzüge des
dem Körper locker anliegenden Gewandes (im Griechischen
würde man es als Chiton bezeichnen) und durch die die Beine
begleitenden Rillen an dem unten straffer gespannten Stoff.
Wie einseitig die Dehnung der einen Richtung zugute kommt,
zeigt sich in besonders augenfälliger Weise an den fast hori-
zontal zur Seite gestreckten Armen, die im Verhältnis zu ihrer
Dicke kaum zu lang sein dürften, im Vergleich mit den Beinen
und dem Rumpf aber viel zu kurz ausgefallen sind. Brust- und
Schulterpartie und noch deutlicher der Kopf, Teile also, deren
formales Wesensmerkmal nicht in einer gerichteten Erstrek-
kung, sondern in ihrem dreidimensionalen Volumen besteht,
sind überhaupt nicht in irgendeinem Sinne überdehnt. Wer
den Kopf allein betrachtet, ahnt nichts von der eigenwilligen
Proportionierung des Körpers und der Beine. Ebenso wahrt
die Frucht in der linken Hand ihre kugelrunde Gestalt. Auch
bei der erwähnten Frauenfigur in Paris zeigen Kopf und Füße
durchaus natürliche Maßverhältnisse, und zu noch wunder-
licheren Effekten hat die Ueberdimensionierung der Verti-
kalen bei dem Knaben in Volterra geführt. Hier sind Füße,
Geschlecht und Kopf ausgesprochen naturalistisch modelliert,
während Beine, Leib und die gesenkten Arme die natürlichen
Längenverhältnisse um das Zweieinhalb- bis Dreifache über-
treffen.
Von der hier zu betrachtenden unterscheiden sich diese
beiden jüngeren Statuetten durch ihre hermenartige Starrheit.
Man möchte vermuten, daß dieser steifen Haltung mit der ge-
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