Full text: Jahresbericht 1959 (1959)

schlossenen Beinstellung und den angelegten Armen eine 
bestimmte, vielleicht kultische Bedeutung zukomme.* Daß 
auch die eigentümliche Proportionierung in außerformalen 
Belangen zu suchen sei, wurde oft vermutet, aber nichts dieser 
Art ist für uns faßbar. Wenn bei etruskischen Figuren viel- 
fach die Hände übergroß gestaltet sind, darf man dies wohl 
als eine Art expressiver Steigerung der die Gebärde tragenden 
Teile verstehen, aber bei ruhig stehenden Gestalten scheint 
sich auch in dieser Richtung keine einleuchtende Deutung zu 
ergeben. Und gewiß werden wir uns vor dem Anachronismus 
einer ästhetischen Interpretation hüten müssen, zu welcher 
der Vergleich mit nur in ihrem Ergebnis vielleicht verwandt 
erscheinenden modernen Werken Anlaß bieten könnte, Eine 
Welt trennt Denken und Trachten des italischen Hand- 
werkers von dem eines Marino Marini oder Alberto Giaco- 
metti. Dagegen verdient wohl die Tatsache Beachtung, daß 
die Ueberlängungserscheinungen nur an Bronze-, nicht aber 
an rundplastischen Stein- und Terrakottafiguren und, jeden- 
falls in den extremen Ausmaßen, nur an Votiven auftreten. 
Das scheint mir die vielleicht allzu rational anmutende Erklä- 
rung nahezulegen, daß mit möglichst wenig von dem kost- 
baren Material der Gottheit ein möglichst großes, ihre Zunei- 
gung gewinnendes Bild geschenkt werden sollte. Zwischen 
den Beinen unserer Statuette ist übrigens das Blech so dünn, 
daß zwei Löcher ausgebrochen sind. Die hier beobachtete 
lineare Zerdehnung, die zu einer von der griechisch-geometri- 
schen sehr verschiedenen Art von Abstraktion führte, konnte 
sich in Mittelitalien immer wieder durchsetzen, weil das 
Formgefühl dieser Kunstlandschaft die Erscheinungen nicht 
so ausschließlich und folgerichtig wie etwa das attische oder 
dorische an den Verhältnissen des menschlichen Körpers maß, 
noch wie jene in den Elementen jeglicher Gestalt nach Ver- 
anschaulichung ihrer tektonischen Funktion suchte. Im etrus- 
5 Vgl. Kunst und Leben der Etrusker5, 280; Ausgabe Köln, 423/424; Zwei Opfer- 
schauer in Hermengestalt. 
30
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.