schlossenen Beinstellung und den angelegten Armen eine
bestimmte, vielleicht kultische Bedeutung zukomme.* Daß
auch die eigentümliche Proportionierung in außerformalen
Belangen zu suchen sei, wurde oft vermutet, aber nichts dieser
Art ist für uns faßbar. Wenn bei etruskischen Figuren viel-
fach die Hände übergroß gestaltet sind, darf man dies wohl
als eine Art expressiver Steigerung der die Gebärde tragenden
Teile verstehen, aber bei ruhig stehenden Gestalten scheint
sich auch in dieser Richtung keine einleuchtende Deutung zu
ergeben. Und gewiß werden wir uns vor dem Anachronismus
einer ästhetischen Interpretation hüten müssen, zu welcher
der Vergleich mit nur in ihrem Ergebnis vielleicht verwandt
erscheinenden modernen Werken Anlaß bieten könnte, Eine
Welt trennt Denken und Trachten des italischen Hand-
werkers von dem eines Marino Marini oder Alberto Giaco-
metti. Dagegen verdient wohl die Tatsache Beachtung, daß
die Ueberlängungserscheinungen nur an Bronze-, nicht aber
an rundplastischen Stein- und Terrakottafiguren und, jeden-
falls in den extremen Ausmaßen, nur an Votiven auftreten.
Das scheint mir die vielleicht allzu rational anmutende Erklä-
rung nahezulegen, daß mit möglichst wenig von dem kost-
baren Material der Gottheit ein möglichst großes, ihre Zunei-
gung gewinnendes Bild geschenkt werden sollte. Zwischen
den Beinen unserer Statuette ist übrigens das Blech so dünn,
daß zwei Löcher ausgebrochen sind. Die hier beobachtete
lineare Zerdehnung, die zu einer von der griechisch-geometri-
schen sehr verschiedenen Art von Abstraktion führte, konnte
sich in Mittelitalien immer wieder durchsetzen, weil das
Formgefühl dieser Kunstlandschaft die Erscheinungen nicht
so ausschließlich und folgerichtig wie etwa das attische oder
dorische an den Verhältnissen des menschlichen Körpers maß,
noch wie jene in den Elementen jeglicher Gestalt nach Ver-
anschaulichung ihrer tektonischen Funktion suchte. Im etrus-
5 Vgl. Kunst und Leben der Etrusker5, 280; Ausgabe Köln, 423/424; Zwei Opfer-
schauer in Hermengestalt.
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