Vorher hatte der Bildhauer ein Arbeitsmodell in Gips gefer-
tigt, das später in Bronze gegossen wurde.” Um einen
Abguß dieses Arbeitsmodells handelt es sich bei der Bärschen
Schenkung.
Es kennzeichnet die «Liegende» von 1957, daß in ihr
abstrakt-tektonische und organisch-naturhafte Elemente sich
restlos durchdringen und wechselseitig ergänzen; es kommt
zu einer Synthese der beiden polaren Gestaltungsmöglichkei-
ten. Zwar hat sich die plastische Organisation von dem Zwang
einer unmittelbar «abbildenden» Wiedergabe menschlicher
Formen gelöst, aber dennoch bleibt ein, wenn auch noch so
ferner, Bezug auf die Körperwelt des Menschlichen gewahrt.
Die mächtigen Schwellungen, Ballungen, Ueberlagerungen,
Höhlungen alludieren auf den ruhig gelagerten menschlichen
Körper, so sehr die «Gliedmaßen» auch immer eine autonome
plastische Figuration beschreiben, die nicht durch einzelne
sich gegeneinander absetzende Gelenke artikuliert wird, son-
dern einem einheitlichen Formrhythmus überantwortet ist.
Ein von Moore seit jeher geübtes Formprinzip erreicht jetzt
seine reinste Ausprägung: der Widerstreit von Schale und
Kern ist aufgehoben zugunsten einer extremen Verschmel-
zung von Masse und Hohlraum. Es ereignet sich die konse-
quenteste Realisierung von theoretischen Ueberlegungen, die
Moore schon 1937 in den «Bemerkungen über Plastik» formu-
liert hat: «Ein Stein kann ein Loch haben, ohne dadurch
geschwächt zu werden, wenn Größe, Umriß und Richtung
dieses Loches genau überlegt sind. Nach dem Prinzip der
Wölbung kann der Stein seine ganze Kraft bewahren. Das
erste Loch, das man in einen Stein schlägt, ist eine Offen-
barung. Das Loch verbindet eine Seite mit der andern und
macht den Stein sogleich dreidimensional. Fin Loch kann an
sich ebenso viel Formbedeutung haben wie eine feste Masse.
Plastik in Luft ist möglich: der Stein umfaßt bloß den Hohl-
raum, welcher die eigentlich beabsichtigte, „gemeinte” Form
5 Vgl. Hofmann, a. a. O., S. 96/97.
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