Magdalena»; aber der Anklang ist sehr vage; auch jetzt han-
delt es sich um die Ausprägung einer generell menschlichen,
expressiven Gebärde, des Flehens, des Betens, der Buße an
sich. Die geradezu mystische Ausdrucksintensität der Figur
beruht in der Strenge des Aufbaus: der hagere, ausgemergelte
Körper ist, bei aller ungemein zarten Modellierung im einzel-
nen, einem straffen, steil aufragenden Formgefüge überant-
wortet. In den spitz gewinkelten, aufgestützten Armen, den
flehend vor der Brust gefalteten Händen setzt ein Vertikal-
drang an, der die Komposition bestimmt. Er vollendet sich im
hochgereckten Haupt und dem röhrenartigen, dunkel schatten-
den Kopftuch, das als mächtige durchgehende Bahn von der
Rückenbasis der Halbfigur her unaufhaltsam emporsteigt.
Diese Architektonisierung des Körpers zur reinen Ausdrucks-
gebärde findet sich als verbreitetes europäisches Stilphänomen
der Zeit; eine seiner Komponenten, die gefühlshaft-«pseudo-
gotische», geht, mit Minne, auf den Jugendstil zurück. In Paris
hat Lehmbruck die neue Formensprache in persönlichem
Kontakt mit Brancusi, Matisse, Derain und vor allem Modi-
gliani kennengelernt.‘ Die «Betende» zeigt die «gotische»,
«strebepfeilerähnliche» Aufgliederung der körperlichen Masse
im Sinne linearer Verfestigung auf einem Höhepunkt — es ist,
als wollte Lehmbruck, da ihm keine wirkliche Architektur als
Halt und Behausung für seine Skulpturen zur Verfügung
stand, seinen Skulpturen selber architektonisches Gepräge ver-
leihen, indem er die Arbeit des Architekten mitleistete.” Die
Druchdringung von abstrakter Struktur und organisch-plasti-
scher Struktur, die Interpretation des menschlichen Körpers
als konstruktives plastisches Gebilde und als Darstellung
natürlicher Erscheinung, als Einheit aus tektonischen, plasti-
schen und linearen Werten. schenkt auch der «Betenden» den
i Vgl. dazu Eduard Trier, Wilhelm Lehmbruck, Paris 1910—1914, in: Jahres-
ring 55/56, Stuttgart 1955, S. 144—153.
5 Vgl. Herbert von Einem, Zum Werk Wilhelm Lehmbrucks, in: Die Samm-
lung II (1946/47), S. 38-—54.
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