weiligen Berufung. Carl Burckhardts Stellung im Rahmen der
neueren Schweizer Plastik läßt sich in ihrer überragenden Be-
deutung genau umschreiben: Nachdem Karl Stauffers Versuch,
der schweizerischen Bildhauerkunst zukunftsträchtige Impulse
zu verleihen, gescheitert war, übernahm Burckhardt das Erbe.
Ihm gelang, trotz seinem frühen Tod und wiewohl sein Werk
Fragment geblieben ist, als erstem in der Schweiz die Ueber-
windung der offiziellen, konventionell-akademischen, eklekti-
schen Denkmalplastik, wie besonders das späte 19. Jahrhun-
dert sie in einer krisenhaften Inflation leerer Pathetik geübt
hatte. Rom, wohin Burckhardt 1899 auf den Spuren Böcklins
und Marees’ zog, brachte ihn zu sich selbst: die wegen finan-
zieller Schwierigkeiten nicht vollendete monumentale Gruppe
«Zeus und Eros» markiert den endgültigen Durchbruch des
Bildhauers Burckhardt zu einer von der Antike und dem Er-
lebnis Italiens inspirierten Klassizität. Damit hängt es zusam-
men, daß Burckhardt als Plastiker zwar unter die «Bewahrer
des Menschenbildes» gehört, also zu keinem Zeitpunkt je zu
abstrakten Schöpfungen vorstieß — seine Themen bezieht er
vor allem aus der antiken Mythologie —; aber er gestaltet sie
in tektonisch vereinfachter, klar begrenzter Form, in einer
wachsenden Annäherung an die Gesetzlichkeit archaischer
griechischer Plastik, die eben damals in das Aufmerksamkeits-
feld zunächst der Künstler, hierauf der Wissenschaft zu ge-
raten begann — sie hat auch bei Carl Burckhardt die Besin-
nung auf das Wesen echter plastischer Gestaltung fördern
helfen.
Auch dem «Frauenraub» liegt ein der antiken Skulptur
geläufiges, uraltes Motiv zugrunde. Daß jedoch nicht ein indi-
viduell bestimmtes, «lokalisierbares» Ereignis der Mythologie
gemeint ist, muß als symptomatisch verstanden werden. Der
reife Burckhardt verwendet das Motivische als bloßes Medium,
bildnerische, plastische Vorgänge zu veranschaulichen oder
besser: zu verkörpern; im Gewand «klassischer» Thematik
dringt er zu Formexperimenten durch, die am Kubismus ge-
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