wurde ein Gemälde «Die tote Stadt> (Oel auf Leinwand,
80X80 cm bez. r. u.: Egon Schiele, 1912) erworben. Schiele
(1890—1918), in dem sich, zusammen mit Klimt und Ko-
koschka, der Hauptbeitrag Oesterreichs zur europäischen
Kunst des 20. Jahrhunderts manifestiert, verdankt seinen
Ruhm vor allem seinem zeichnerischen Werk. Nach Studien
an der Wiener Akademie bei dem Feuerbach-Epigonen
Griepenkerl, 1906—1909, gestaltete er, ausgehend von Klimt,
Munch, Hodler, Lautrec und van Gogh, dem er auf einer
Wiener Ausstellung 1909 begegnete, eine leidenschaftlich
düstere, von Eros und Angst geprägte, durch die abgründige
Macht der Geschlechter bestimmte Weltauffassung.'* Land-
schaftliche Motive sind in seinem von der menschlichen Figur
beherrschten schmalen (Fuvre vergleichsweise selten; zu-
nächst unterstehen sie der sezessionistischen dekorativ orna-
mentalen Flächenkomposition." Um 1912 kündigt sich eine
Wandlung an, die, stilgeschichtlich gesprochen, zum Früh-
expressionismus führt. Hier ist der «historische Ort» auch der
«Toten Stadt»: an Stelle flächig stilisierter Gliederung tritt
eine an van Gogh gemahnende, heftig deformierende, drei-
dimensionale Raumdynamik, die in panoramatischer Aufsicht
gewonnen ist. Bereits der Bildtitel weist auf die vorwaltende
Stimmung: die Häuser sind verfremdet ins unheimlich
Anthropomorphe; zumal der großen Giebelfassade mit den
beiden blicklosen Fenstern, die links die Komposition domi-
0 Vgl. Jacob Reisner, Zum zeichnerischen Werk des Oesterreichers Egon Schiele,
in: Beiträge zur Kunstgeschichte, Eine Festgabe für H. R. Rosemann, München
1960, S.337—348. Das Buch von Otto Nierenstein-Kallir, Egon Schiele (mit
catalogue-raisonne), Berlin-Wien-Leipzig 1930, war mir nicht zugänglich.
Zum Beispiel «Herbstbaum», 1912, Gerhard Schmidt, Neue Malerei in Oester-
reich, Wien 1956, Abb. 18.
Eng verwandt das Bild von 1915, «Der Häuserbogen»; Schmidt, a. a. 0., Abb. 19,
Zu weiteren «Phantasie»-Städtebildern vgl. Katalog der Ausstellung «Gustav
Klimt and Egon Schiele», The Solomon R.Guggenheim Museum, New. York,
Februar— April 1965. Den Städtebildern scheinen zum Teil Erinnerungen an
Krumau zugrunde zu liegen, von wo Schieles Mutter stammte. Ferner gibt es
mindestens zwei «topographisch genaue» Ansichten von Stein an der Donau
(1913; vgl. Kat. Guggenheim-Museum, Nr. 31 und 33).
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