Volltext: Jahresbericht 1964 (1964)

geeignet, dieser neuen Konzeption der Wirklichkeit Gestalt 
zu leihen. Linien und Farben verselbständigen sich; sie ge- 
winnen schrankenlosen Eigenwert. Das Kunstwerk wurzelt 
nicht mehr in der Beziehung «Naturvorbild - Bild», sondern, 
wie Kandinsky es formulierte, in der Beziehung «Innere 
Welt - Bild». An die Stelle des der äußern Welt entliehenen 
Motivs tritt ein Prinzip, das allem Gegenständlichen dia- 
metral gegenübersteht, treten, übersetzt in Formen, Farben 
und Linien, Sensationen der «inneren Welt», Das auf diese 
Weise entstehende Gebilde lebt außerhalb der traditionellen 
begrifflichen Kategorien von Raum, Zeit und Gegenstand. 
«Ueberschreiten der kubistischen Körperlichkeit zwecks Er- 
reichung der Poesie» — so hat Mirö selber den Sinn des 
Prozesses charakterisiert. Seine Kunst nähert sich hier zum 
erstenmal dem blühenden Geisterreich der Phantasie, der 
heiter verspielten Imagination. Das ist fortan, bis zum heuti- 
gen Tag, der eine Pol von Mir6s künstlerischer Produktion 
geblieben.? 
Auch Oskar Schlemmer erscheint, wie Schiele, erstmals 
in der Kunsthaus-Sammlung: mit dem Bild «Unterwei- 
sung» (Oel auf Karton, 67X66 cm, rückseitig bez.: «Unter- 
weisung», Aug. 32, Oskar Schlemmer).*® Um 1932 hatte 
Schlemmer längst seinen persönlichen, durch die Wirksamkeit 
am Bauhaus (1920—1929) bestärkten Stil gefunden. Im 
Zentrum dieser Kunstübung steht der Mensch, nicht als 
individuelle Figur, vielmehr als stereometrisch-überindivi- 
duelles Typuszeichen, das den figuralen Mittelpunkt einer 
geometrischen Ordnung und Ortung abgibt.! «Ich will Men- 
schentypen schaffen und keine Porträts ..., und ich will das 
15 Vgl. dazu Eduard Hüttinger, Mirö, Bern 1957, S. 18 ff. 
16 Hans Hildebrandt, Oskar Schlemmer, München 1952, Kat.-Nr. 227. 
17 Vgl. Werner Haftmann, Malerei im 20. Jahrhundert, München 1954, S. 343. 
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