Hinweis auf einige Neuerwerbungen
MARC CHAGALL, DER KRIEG 1964-66
Marc Chagall hat sich zeit seines Lebens mit der Darstellung mensch-
lichen Leidens auseinandergesetzt. Das Thema des Krieges nimmt inner-
halb dieses Zweiges im Gesamtschaffen eine wichtige Stellung ein. Bereits
1911 entstehen die ersten Gouachen mit der Wiedergabe von Soldaten!.
Zwar berühren diese Schilderungen des Soldatenlebens, die im großartigen
und für Chagalls Kubismus bedeutenden Bild « Der Soldat trinkt? » ihren
Höhepunkt finden, weniger die Tragik als die komischen Begleiterschei-
nungen des Krieges. Erst nach der Rückkehr nach Rußland entstehen mit
dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges Darstellungen, die Kranke und
verwundete Soldaten zeigen?; diese Gouachen bleiben jedoch die einzigen
Zeugnisse vom Krieg von 1914 bis 1918. Chagall sah sich in jener Zeit der-
art in die Geschehnisse der Russischen Revolution verwickelt, daß der
ferne Kriegsschauplatz im westlichen Europa ihn nicht unmittelbar be-
schäftigte. Anders jedoch im Zweiten Weltkrieg, der ihn und seine Familie
zwang, in das ihm zuvor unbekannte Amerika zu fliehen. Beinahe alle
Hauptwerke zwischen 1937 und 1944 beschäftigen sich mehr oder weniger
direkt mit dem damaligen unheilvollen Weltgeschehen. Dies wird beson-
ders deutlich bei den zwei großen Kreuzigungen, der weißen Kreuzigung
von 1938 und der gelben Fassung 1943, sowie auch dem thematisch nahe-
stehenden Bild « Der Märtyrer» 1940*. In allen drei Bildern ist Christus
umgeben von einer Welt des Schreckens; mit dem sinkenden Schiff im
Hintergrund der gelben Kreuzigung und der Schändung einer Synagoge
durch einen Nationalsozialisten (Weiße Kreuzigung) nehmen diese Bilder
einen direkten Bezug zu den aktuellen kriegerischen Auseinandersetzun-
gen. Zusammen mit der dominierenden Leidensfigur Christi ergeben
diese zeitgebundenen Anspielungen ein einzigartiges Gewebe symboli-
schen und erzählerischen Gehalts. Christus kommt in ähnlicher Weise
zentrale Bedeutung zu im Triptychon Widerstand (1937/48), Auferstehung
(1948), Befreiung (1937/52)5.
Gegenüber diesen Auseinandersetzungen mit dem Krieg aus der ameri-