Das Breitformat des Zürcher Bildes ist in der Lukas-Ikonographie eher
selten. Petrini wählt es offensichtlich, um das Thema in seine Lieblings-
form des Halbfigurenstücks einzuführen und um ein zweipoliges Verhält-
nis zwischen Maler und Madonnenbild zu gewinnen. Das Riegelgerüst
der nahen, bildplanen Rückwand gibt den Proportionen des Formats be-
sonderen Nachdruck, zugleich schafft es eine tektonische Festigkeit, die
den figürlichen Diagonalen doppelte Kraft gibt. In der Tat hebt sich die
Sitzgestalt des Evangelisten in ihrem Umriß wie in ihrer plastischen Gliede-
rung ganz vorne frei und mächtig von der sandfarbenen Helle der kahlen
Wand ab. Das Gegengewicht zu der breit-dreieckigen Figur bildet das Oval
des Madonnenbildes auf der schmal-dreieckigen Staffelei. Es fällt auf, daß
die drei Hauptmotive alle der Grundform des Ovals folgen: das Bild im
Bilde, die Maske und, anklingend, das kahle Malerhaupt. Ferner findet
die leicht nach rechts geneigte Achse des Madonnenbildes ihre Entspre-
chung in der leicht nach links geneigten Achse des Evangelisten, und
zwischen Maler und Bild verbindet die große Girlande des pinselführen-
den Armes, während die Palette ihrerseits als Formenbrücke dient.
Der Poetik seiner Halbfigurenstücke folgend, vermag Petrini seinem
Lukas die volle Würde einer pyramidalen, seelenvollen Ausdrucksgestalt
zu geben. Das Faltenwerk ist achsenreich verstrebt und erinnert in seinem
mächtigen «Bau» eher an den Hochbarock als an das lockere und diffuse
Spiel der Draperien im Rokoko — wie überhaupt der Maler-Evangelist den
vollen sittlichen Ernst des Hochbarocks bewahrt. In meisterhaftem Gegen-
satz zum Gefält erscheint das Haupt des Lukas sehr differenziert, sowohl in
seinem seelischen Gehalt wie in der Fülle an Kleinbewegung, Farbigkeit und
Modellierung. Das Licht weckt sprühenden Farbenreichtum : lebensvoll ge-
rötet im Inkarnat, da und dort zu offenem Orange und Rot und Grau be-
freit, während das Kolorit des Haars zwischen Braunschwarz und Silber
schwebt. Erfahrungen des Hochbarocks —seit Ribera, Strozzi und andern —le-
ben in Petrini fort, wenn er sie auch mit leichterer Settecento-Hand einsetzt.