MAX ERNST: DIE GANZE STADT
In der Zeit von 19353 bis 1936 hat sich Max Ernst wiederholt mit dem
Thema « Die versteinerte Stadt» oder « Die ganze Stadt » auseinanderge-
setzt. 1933 entstehen drei Fassungen‘; nahsichtig, hoch in den Himmel
sich auftürmend nimmt der Burghügel in diesen Bildern den größten Teil
der Bildoberfläche in Anspruch. Dagegen erscheint die Stadt in dem vom
Kunsthaus erworbenen Gemälde sowie in einer weiteren Variante® aus
dem Jahre 1936 als eine ferne unbegehbare Vision. Allein in der Fassung
der City of Manchester Art Galleries und des Kunsthauses erhebt sich un-
mittelbar über der Horizontlinie ein übergroßer gelbgrüner Mond.
Ein leicht lesbares und äußerst einprägsames Bild. Scheinbar leicht zu
deuten auch — doch — wie fast immer in Max Ernsts veristisch-gegenständ-
lichem Surrealismus — voller versteckter Anspielungen und Bezüge, die
bei genauerem Hinsehen zu meist dämonisch unheimlichem Leben er-
wachen. Allein die Malweise bedarf besonderer Erwähnung. Eine pastose,
körperhaft dicke Farbschicht weisen der Himmel und vor allem der Mond
auf, letzterer scheint in seiner leuchtenden Präsenz beinahe aus der Fläche
herauszutreten: was in Wirklichkeit als entfernte Transparenz nur wahr-
genommen werden kann, verdichtet sich im Bilde zu handgreiflicher
Gegenwärtigkeit. Das schwellende Wuchern des Pflanzenvordergrundes,
in dem sich allerlei käferiges Getier tummelt, ist dagegen wie auch die
Stadt durchscheinend dünn aufgetragen. Diese Technik, die die Lein-
wandstruktur als formbildende Komponente mit berücksichtigt, erinnert
an die Frottagen der zwanziger Jahre, insbesondere an den Zyklus der
«Histoire Naturelle? », die aus dem scheinbar zufälligen Oberflächen-
charakter der Holzmaserung durch hypnotische Visionen — Max Ernsts
eigener Ausdruck — sich zu gegensätzlichen Bildern verdichteten, «die
sich mit der Eindringlichkeit und Geschwindigkeit übereinanderschich-
teten, wie es Liebeserinnerungen tun!®.» Wenn auch in unserem Bild
Halluzination und Suggestion einer weit bewußteren Gestaltungsweise
gewichen sind, läßt sich unschwer erkennen, daß auch hier Gegensätz-