Full text: Jahresbericht 1968 (1968)

MAX ERNST: DIE GANZE STADT 
In der Zeit von 19353 bis 1936 hat sich Max Ernst wiederholt mit dem 
Thema « Die versteinerte Stadt» oder « Die ganze Stadt » auseinanderge- 
setzt. 1933 entstehen drei Fassungen‘; nahsichtig, hoch in den Himmel 
sich auftürmend nimmt der Burghügel in diesen Bildern den größten Teil 
der Bildoberfläche in Anspruch. Dagegen erscheint die Stadt in dem vom 
Kunsthaus erworbenen Gemälde sowie in einer weiteren Variante® aus 
dem Jahre 1936 als eine ferne unbegehbare Vision. Allein in der Fassung 
der City of Manchester Art Galleries und des Kunsthauses erhebt sich un- 
mittelbar über der Horizontlinie ein übergroßer gelbgrüner Mond. 
Ein leicht lesbares und äußerst einprägsames Bild. Scheinbar leicht zu 
deuten auch — doch — wie fast immer in Max Ernsts veristisch-gegenständ- 
lichem Surrealismus — voller versteckter Anspielungen und Bezüge, die 
bei genauerem Hinsehen zu meist dämonisch unheimlichem Leben er- 
wachen. Allein die Malweise bedarf besonderer Erwähnung. Eine pastose, 
körperhaft dicke Farbschicht weisen der Himmel und vor allem der Mond 
auf, letzterer scheint in seiner leuchtenden Präsenz beinahe aus der Fläche 
herauszutreten: was in Wirklichkeit als entfernte Transparenz nur wahr- 
genommen werden kann, verdichtet sich im Bilde zu handgreiflicher 
Gegenwärtigkeit. Das schwellende Wuchern des Pflanzenvordergrundes, 
in dem sich allerlei käferiges Getier tummelt, ist dagegen wie auch die 
Stadt durchscheinend dünn aufgetragen. Diese Technik, die die Lein- 
wandstruktur als formbildende Komponente mit berücksichtigt, erinnert 
an die Frottagen der zwanziger Jahre, insbesondere an den Zyklus der 
«Histoire Naturelle? », die aus dem scheinbar zufälligen Oberflächen- 
charakter der Holzmaserung durch hypnotische Visionen — Max Ernsts 
eigener Ausdruck — sich zu gegensätzlichen Bildern verdichteten, «die 
sich mit der Eindringlichkeit und Geschwindigkeit übereinanderschich- 
teten, wie es Liebeserinnerungen tun!®.» Wenn auch in unserem Bild 
Halluzination und Suggestion einer weit bewußteren Gestaltungsweise 
gewichen sind, läßt sich unschwer erkennen, daß auch hier Gegensätz-
	        
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