Full text: Jahresbericht 1971 (1971)

Das dunkle Antlitz erhebt sich wie eine Erscheinung aus leuchtend blauen, 
roten, orange und braunen Blüten, die nach links in völlig freie; wolken- 
artige Formen übergehen. Die Farben dieser rhythmisch bewegten Form- 
gebilde — nach einer Zwischenzone des Weiß vom kräftigen Gelb und 
Türkis bis zu verschwebendem Grüngrau reichend — sind in sich viel- 
gestaltig: sie sind in arabeskenhaften Ornamenten teilweise über dunkler 
oder heller getönte Flächen gelegt, so daß der Farbcharakter ständig 
wechselt und das dekorative Muster einen schillernden, moireartigen 
Effekt erhält. Die intensive Farbigkeit der Blüten hat die Leuchtkraft 
mittelalterlicher Glasfenster. 
Bei der suggestiven Wirkung des Bildes spielt das Material eine wichtige 
Rolle. Der Bildträger ist ein beigebrauner, grobfaseriger Karton, dessen 
Fasern zum Teil noch über der Pastellkreide sichtbar sind. Die groben 
Fasern halten die Pastellkreide besonders gut fest, so daß sie dick aufge- 
tragen werden kann und die Bildfläche vielfältig strukturiert. Sie wird 
besonders in den roten und blauen Blüten als Materie fühlbar und verleiht 
dem Bild einen ausgesprochen freskohaften Charakter. 
Der 1840 geborene Redon gehörte der Generation der Impressionisten an, 
seine Auffassung von Kunst unterschied sich jedoch grundsätzlich von der 
ihren. Statt eines Abbildes der sichtbaren Wirklichkeit wollte er — ähnlich 
wie sein Freund Mallarme — mit seinen Werken eine «Tür auf das Ge- 
heimnis öffnen», wollte er das wiedergeben, «was über den Gegenstand 
selbst hinausgeht, ihn erleuchtet oder erweitert»; «alles, was sich zum 
Symbol eignet» und alles, was « der Kunst einen Aspekt gibt, der an das 
Rätsel grenzt*». Redons Nähe zur symbolistischen Dichtung trug ihm 
den Titel «Mallarme der Malerei» ein. Seine Kunstauffassung verband 
ihn mit den nachimpressionistischen Malern, vor allem mit den «Nabis», 
die ihn als ihr großes Vorbild verehrten. Auch sie wollten statt eines äuße- 
ren Abbildes der Welt das Wesen der Dinge und die durch sie ausgelösten 
Emotionen darstellen. Nicht mehr der literarische Inhalt sollte den Aus-
	        
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