Volltext: Jahresbericht 1973 (1973)

urtümlicheren, unmittelbar auf das persönliche Schicksal bezugnehmen- 
den rechten Seite zu konfrontieren. Schutzsuchend und trostspendend 
nähert sich unten links eine weibliche Figur vom Typus der Maria Mag- 
dalena; die fehlende obere Gesichtshälfte des Geigenspielenden weist wohl 
auf die verstandesmäßig nicht faßbare Macht des Musischen auch in 
düsteren Zeiten hin — eine Deutung, die auch für die fliegenden, tier- 
köpfigen Zirkusmenschen in verwandter, hier vermehrt spielerischer 
Weise angenommen werden kann. Die rechte Bildhälfte kreist um die 
Pole Familie und Dorf: rechts unten die Vaterfigur mit dem Gebetbuch, 
die einer Pieta angeglichene Gruppe von Mutter und Kind, darüber ein 
brennendes russisches Dorf, für Chagall seit der Zeit, da er seine Geburts- 
stadt Witebsk verlassen hat, Inbegriff des Verlustes von Heimat und Ge- 
borgenheit. Noch in den sechziger Jahren wählt der Künstler dieses Motiv 
in La Guerre (Kunsthaus Zürich, Erwerbung der Vereinigung Zürcher 
Kunstfreunde 1967), um die Schrecken des Krieges bildhaft zu fassen. 
Les lumieres du mariage, 1945 (Abb. 3) 
1933 malte Chagall die breitformatige, vielfigurige Komposition Zzrkus- 
leute, in deren linkem Zentrum Chagalls Frau Bella in weißem Kleid, in 
der rechten Bildhälfte ein Brautpaar erscheint. Als der Künstler 1941 auf 
Einladung des Museums of Modern Art, New York, in die USA über- 
siedelte, ließ er sich dieses Bild zusammen mit anderen, die ihn noch nicht 
befriedigten und an denen er weiterarbeiten wollte, nachsenden. Im Sep- 
tember 1944 starb Bella Chagall nach kurzer Krankheit eines plötzlichen 
Todes. Dieser Schicksalsschlag verunmöglichte Chagall während neun 
Monaten jede künstlerische Tätigkeit. Zu den ersten Arbeiten, die er nach 
dieser Zäsur in Angriff nahm, gehörte die erneute Beschäftigung mit den 
Zirkusleuten. Er schnitt die große Leinwand entzwei und malte beide 
Teile selbständig weiter. Aus der linken Hälfte entstand zuerst das Bild
	        
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