Volltext: Jahresbericht 1973 (1973)

lichen nur noch entfernt verpflichtet, scheint ins Zwei- oder Mehrdeutige 
übersetzt, wie dies für das den Stil der dreißiger Jahre mustergültig ver- 
tretende Bild « Demain » (Abb. 9) charakteristisch ist. Ohne Horizontlinie 
gehen Standfläche und Himmel ineinander über; beide erwecken den Ein- 
druck immaterieller Transparenz, obwohl die relativ sparsamen, in drei Ebe- 
nen angeordneten Figurationen des Vordergrundes dunkle Schlagschatten 
werfen. Die unbegrenzte Tiefe dieser Bilder aus Tanguys mittlerer Zeit 
gemahnt mit ihrem das Unendliche evozierenden Raumgefühl zuweilen 
an vergleichbare Formulierungen von Salvador Dali, kennt jedoch eine 
Dimension des Diffusen oder besser gesagt des Atmens, die dem mediter- 
ranisch strenger konstrulerenden Spanier fremd ist. Beinahe noch stärker 
als das räumliche Element werden die aus vegetabilisch-organischen For- 
men zusammengesetzten Figurationen verfremdet, die die untere Bild- 
hälfte, gegen die Bildmitte kleiner werdend und beinahe mit dem atmo- 
sphärischen Grund verschmelzend, beleben. An Stein, Knochen, Fleisch, 
Textilien erinnernde Formelemente werden zu Gebilden zusammenge- 
faßt, deren Deutung durch keinerlei Oberflächencharakterisierung er- 
leichtert würde. Alles ist gleichsam im Schwebezustand belassen: sind 
diese Gebilde hart oder weich? durchsichtig oder opak? feucht oder 
trocken? Diese Metamorphosen organischer und anorganischer Stofflich- 
keit sind nicht von dieser Welt. Sie sind Grundelemente zum Entwurf 
einer Gegenwelt, an der Tanguy auch nach seiner Übersiedlung in die 
USA im Jahre 1939 bis zu seinem frühen Tod 1955 unentwegt weiter 
arbeitet, die einzelnen Formen zuweilen ins Unermeßliche multiplizie- 
rend. Die Metamorphose aber, geboren aus einer visionären Schau unserer 
äußeren Wirklichkeit, ist eine zentrale Themenstellung des Surrealismus. 
Man denke in diesem Zusammenhang an die dominierende Rolle der Meta- 
morphose im Werk Picassos der späteren zwanziger und dreißiger Jahre, 
der Zeit also, in der der Künstler dem Surrealismus recht nahe stand. 
Felix Andreas Baumann
	        
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