Full text: Jahresbericht 1973 (1973)

ten wahr. Zu beiden Seiten dieser Mittelachse gruppieren sich rechteckige 
Felder, die den einzelnen Bildinhalten gewidmet sind — ein Verfahren, 
wie es die Collagetechnik von vornherein antizipiert. Stehen diese Bild- 
teile, die formal streng aufeinander bezogen sind, auch in einem sich ge- 
genseitig erhellenden Sinnzusammenhang? Oder sind sie rein zufällig zu 
einer Komposition geordnet, ohne in einem Kontext zum Ganzen zu ste- 
hen? Man ist versucht, zum mindesten das Warnungsschild «Caution — 
watch your step» in Beziehung zu setzen zu den beiden Fotos, die sich als 
bestimmte, genau identifizierbare Situationsschilderung markieren: Merce 
Cunningham bei der Arbeit. Er probt eine Balancehaltung, auf einem 
Bein stehend, den Körper vom Kopf bis zum ausgestreckten Fuß in die 
Horizontale gelegt, die Arme ausgebreitet. Im Profil gesehen gibt diese 
Haltung den überzeugendsten Eindruck einer auf das Gleichgewicht aus- 
gerichteten Schrittstellung wieder. In der Tat hat der Tänzer seinen 
nächsten Schritt sorgfältig zu überlegen und abzuwägen, um die Balance 
zu halten. Auf dem Foto im unteren Bildteil ist das Warnungsschild offen- 
sichtlich nicht beachtet. Hier ist ein Polizist vom Pferd gestürzt, er hat 
sein Gleichgewicht — im Gegensatz zu Merce Cunningham — verloren, den 
Schritt nicht beachtet. Man kann also leicht eine anekdotische Verbindung 
zwischen den Bildteilen herstellen. Aber möglicherweise würde Rauschen- 
berg selbst diese Interpretation als viel zu literarisch ablehnen. In seinen 
Collage- und Combine-Paintings berichtet er keine Anekdoten und sucht 
keinen persönlichen Symbolismus in objektivere Sicht umzusetzen. Fotos, 
die durch ihre vertraute Gegenständlichkeit gerne zur Interpretation ver- 
locken, haben keine andere Aufgabe, als die Identität einer realen Situa- 
tion herzustellen. Rauschenberg übermittelt keine Geheimbotschaften in 
diesen aus Fragmenten der Wirklichkeit zusammengesetzten Combine- 
Paintings, die wie Puzzle zu einer einheitlichen Bildgeschichte zusammen- 
setzbar scheinen, aber es eben doch nicht sind. Jedes auch noch so frag- 
mentarische Relikt der Wirklichkeit steht hier um seiner selbst willen.
	        
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