Volltext: Jahresbericht 1973 (1973)

Mit jedem Stück einmontierter Wirklichkeit sucht Rauschenberg die 
Frage nach der Wirklichkeit von neuem zu stellen. Ist ein Pressefoto auf 
der Leinwand realer als in der Zeitung, der Hemdärmel, die Hose als 
Gebrauchsobjekt wirklicher als auf der Malerei, an die Wand gehängt, in 
die Patina des Bildes aufgenommen? 
«Trophy » scheint sich nicht für einen sich offen darlegenden, erklärenden 
Bildinhalt zu eignen. Es läßt lediglich die Möglichkeit offen, Zusammen- 
hänge zu sehen und Interpretationen nach freiem Entscheid des Betrach- 
ters anzubieten. Die Freiheit der Gedanken und Assoziationen hat keine 
Schranken. Doch den Ruhm dieses Bildes machen hier andere Werte aus. 
Rauschenberg hat oftmals mit den Materialien frei geschaltet und sich 
Gegenständen bedient, die uns im künstlerischen Bereich fremd anmuten. 
«Trophy» lebt nahezu ausschließlich vom Material. Die Verkettung ver- 
schiedenster Bildelemente scheint hier am gewagtesten, aber auch am voll- 
kommensten gelungen. Malerei empfindet man nur noch als Gegensitua- 
tion zum Material. Die ganze Komposition scheint ein Akt gegen die 
schöne Malerei und eine großartige Öffnung zu neuen optischen Möglich- 
keiten hin. Freilich haben Marcel Duchamp, Schwitters, Max Ernst diese 
Freiheit der Bildmittel — wir wissen es — ein halbes Jahrhundert zuvor 
bereits praktiziert. Was vor allem bei Marcel Duchamp Protesthaltung 
war, die sich im banalen Objet trouve manifestierte, ist bei Rauschenberg 
Selbstverständlichkeit geworden. Rauschenberg propagiert mit seinen 
Combine-Paintings eine neue Ästhetik, die gerade in «Trophy» über- 
zeugend dargelegt wird. Wenn man bedenkt, daß Rauschenberg seine 
wichtigsten Lehrjahre 1948-49 bei Josef Albers am Black Mountain Col- 
lege verbrachte, dann ist diese Absage an die «schöne Malerei» besonders 
bemerkenswert und überraschend. Und doch sind Grundzüge des Lehrers 
Grundlagen für Rauschenbergs Arbeit geworden. Von Albers lernte er 
die Disziplin der Formgebung, das überlegte. Umgehen mit Form und 
Farbe. Aus den Erfahrungen, die strenge Kompositionslehre und asketi-
	        
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