Volltext: Jahresbericht 1974 (1974)

wahrhaftigere Sicht ermöglichen als diejenigen der hektischen Gross- 
städte, ein Empfinden vorwegnimmt, das Gauguin — und nach ihm viele 
andere — in vielleicht noch stärkerem Masse erlebt haben. 
Leibls Hinwendung zu seiner strengen Detailtreue fällt zeitlich jedenfalls 
ziemlich genau mit dem ersten Aufenthalt auf dem Lande zusammen. 
Nun wäre es freilich verfehlt, wollte man in seiner stilistischen Entwick- 
lung nur die eine Bewegung von der lockeren Pinselführung weg sehen. 
Gerade das vom Kunsthaus erworbene Bild Zwei Frauen in der Kirche 
von 1878 belehrt in diesem Zusammenhang eines andern. Zweifellos, das 
Bild ist unvollendet — vollendet unvollendet möchte man hinzufügen. 
Weshalb Leibl die Arbeit an dieser Tafel aufgegeben hat, ist heute mit 
Sicherheit nicht mehr auszumachen. Möglich, dass ihm die Grössenver- 
hältnisse nicht zugesagt haben; die Hamburger Tafel ist bei gleicher 
Breite 10 cm höher. Dadurch, dass er die Skizze voll signiert und datiert 
hat, hat er jedenfalls zu erkennen gegeben, dass für ihn die Arbeit an 
dieser Tafel vollendet war, dass er sehr wohl die Qualitäten dieser ersten 
Festlegung des Motivs, das ihn in der Folge so lange beschäftigen sollte, 
erkannt hat. Zwei Frauen in der Kirche ist die einzige bekannte Vorstudie 
zur Hamburger Tafel; sämtliche Kompositionselemente — mit Ausnahme 
der Frau links und des Kruges in der rechten untern Bildecke — sind 
bereits vorhanden. So vor allem die schräge Einsicht in die mit Schnitze- 
reien verzierte Kirchenbank, die Aufteilung des Hintergrundes in eine 
helle Zone links, in eine dunkle rechts, wobei die beiden Köpfe wie ın 
der endgültigen Fassung silhouettenartig vor diese differenzierten Hinter- 
gründe gesetzt sind. Leibl hat, das kann man mit Sicherheit annehmen, 
die Bildkomposition bereits vor den ersten Studien fixiert, und das Bild 
des Kunsthauses ist zweifelsohne eine allererste Skizzierung (wenn es 
überhaupt noch weitere, heute verschollene Studien gibt). Jeder Pinsel- 
strich beweist die erstmalige Auseinandersetzung mit dem Motiv, er ist 
zuweilen zögernd tastend, dann wieder rascher, zusammenfassender ein-
	        
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