Volltext: Jahresbericht 1974 (1974)

(Sammlung Mr. und Mrs. Zacks, Toronto, ehemals Charles Im Obersteg, 
Basel; Meyer Abb. S. 233) dehnt sich die Aufnahme in der Horizontalen 
aus, Bindeglieder zu der vertikalen Baumasse wurden eingesetzt. Über 
dem winterklaren Stadtprospekt, über der menschenleeren Schneeland- 
schaft gleitet mühsam die vom jüdischen Alltag losgelöste «verewigte » 
ahasverische Existenz der apokalyptischen Zukunft entgegen. Der breite, 
verschneite Vordergrund ist von den Spuren irdischer Pilgerschaften der 
Menschen durchfahren. Die Angst bricht durch die meteorähnliche Er- 
scheinung des Phantoms, durch die Vorahnungen des Künstlers, der «in 
einer Zeit des Erdbebens» lebte, herein. 
Der grosse Schaffenskomplex Chagalls vom Jahre 1914 enthält zudem 
eine abgewandelte Version — eine tragische, grünschwarze Kulisse um 
einen leidenvollen grauen Zeitungsverkäufer herum. Vertikalität ist dies- 
mal das Kennzeichen: monumental und turmartig hochgezogen sind die 
rahmenden Bauten. In dieser Gestaltung werden sie auch in der weiche- 
ren, malerischen Darstellungsweise 1921/1922 zurückkehren (Sammlung 
Mr. und Mrs. J. Lewin, New York; Meyer Kat.-Nr. 333). 
Gegen 1920 ritt die moderne russische Kunst auf der suprematistischen 
und konstruktivistischen Welle. Chagalls kubistische Erfahrungen und 
sein Wille zur Konstruktion aktivierten sich, auf die gegenstandslose Um- 
setzung der Wirklichkeit antwortete er jedoch polemisch. Den geometri- 
schen Akzent trug er aber fast überall hinein. Die beste Ausprägung 
unseres Sujets ist zweifelsohne die nach fünf Jahren 1920 beendete geo- 
metrisch zugeschnittene Neuformulierung (Museum of Modern Art, New 
York; Meyer Kat.-Nr. 2353). Die suggestive Traumatmosphäre, die hoch- 
poetische Wirkung kann dem magischen Farblicht zugeschrieben werden, 
das in dem ockergetönten, transparent harten Schnee und dem grauen 
Himmel bläulich durchschimmert. Die eingeprägten Spuren formte Cha- 
gall zu einem prismatischen Flächenornament, in dem kantige Formen den 
runden gegenübertreten und sich die Kirche als Kristallgebilde einfügt.
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.