Full text: Jahresbericht 1975 (1975)

auf das in Verkürzung erscheinende Bild auf 
der Staffelei. Das andere Gemälde, welches 
den Pflüger darstellt, bleibt bis auf einen 
schmalen Streifen, der noch in vollem Licht 
zu sehen ist, hinter der Staffelei im Halb- 
schatten, so dass die langgezogene weisse 
Bergkette wie in einer klaren Nacht in 
gedämpfter Helle sichtbar und der pflügende 
Bauer mit seinem Gespann eben noch 
erkennbar ist. Auf den ersten Blick will es 
fast scheinen, als ob sich das Pflügen im 
Raum selber abspiele, eine Täuschung, die 
dadurch gefördert, wenn nicht hervor- 
gerufen wird, dass eine scharfe Bogenlinie 
rechts von der Staffelei eine hell beleuchtete 
Bodenpartie von einer dunkleren Zone ab- 
grenzt, was zur Folge hat, dass der flüchtige 
Betrachter alles, was rechts von dieser 
Schattenlinie ist — nämlich das Bild des 
Pflügers und die im Schatten befindliche 
Bodenpartie — als Einheit sieht. Erst bei 
genauerem Hinsehen wird klar, wie genau 
der Maler durch feine Unterschiede der Farb- 
töne und des Farbauftrages die Trennung 
zwischen dem unteren Rand des Bildes und 
dem Boden, auf dem es steht, angedeutet hat. 
Man hat den Eindruck, dass solche Fein- 
heiten ihm richtig Vergnügen bereitet haben. 
Das wird vollends deutlich im Spiel mit dem 
Schatten des jungen Mädchens. Dieser fällt 
auf den Boden, vor allem aber auf die 
Rückwand des Raumes. Während er aber 
dort als relativ amorpher Fleck, wenn auch 
die Rundung des Kopfes verratend, erscheint. 
zeichnet sich das Profil des Mädchens, vor 
allem die Nasenpartie, in feiner Genauigkeit 
auf der oberen Ecke des den Pflüger dar- 
stellenden Bildes ab: in einem kleineren 
Massstab gehalten und übrigens auch farbig 
differenziert, da ja das Bild, auf das der 
Schatten fällt, der Lichtquelle näher ist als die 
Rückwand des Raumes. Solche genauen 
Beobachtungen des Spiels von Licht und 
Schatten und ihre geistreiche Verwendung 
erscheinen in vielen Werken Segantinis. 
Sie kennzeichnen schon manche Bilder der 
italienischen Zeit, etwa jenes, das eine Herde 
von Schafen im Mondschein darstellt. 
Dort werfen die Tiere ihre Schatten vor sich 
her, so dass sich ein eindrucksvolles Schatten 
ornament bildet, das in der Komposition 
des Bildes eine wichtige Rolle spielt. Wie 
denn überhaupt zu sagen ist, dass solche 
Beobachtungen und artistischen Spiele nie 
Selbstzweck sind, sondern stets dem Bild- 
aufbau, der Stimmung des Ganzen dienen. 
Wenn man «1 miei modelli» als Ganzes 
betrachtet, so wird man sagen dürfen, dass 
es in der Vielfalt seiner Bezüge gleichsam ein 
Konzentrat von Segantinis Wollen und 
Können darstellt. Es weist nicht nur, wie der 
Titel andeutet, auf die Hauptthemen, die 
den Künstler beschäftigt haben, hin, sondern 
gibt zugleich einen Begriff vom Reichtum 
seiner malerischen Möglichkeiten. Was aber 
das Erstaunlichste und gar nicht selbst- 
verständlich ist: es ist bei alledem nicht 
verquält, sondern ein Bild von starkem 
Stimmungsgehalt, das auch den unvor- 
bereiteten Betrachter direkt anspricht, und 
das ist wohl die Hauptsache. 
Rene Wehrli 
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