Volltext: Jahresbericht 1975 (1975)

ZU ZEICHNUNGEN VON ALBERTO 
UND GIOVANNI GIACOMETTI 
selbst in früheren Aquarellen verwendeten 
divisionistisch-fleckenhaften Farbauftrag 
zugunsten einer lockeren, grosszügigen 
Pinselführung auf. Grosszügig wirkt vor 
allem die Wiedergabe der in einer verein- 
fachten Form zusammengefassten Baum- 
blüten, deren lichthaltiges Weiss das 
ausgesparte Weiss des Papiergrundes ist. 
Er konzentriert den Natureindruck auf wenige. 
dicht beieinanderliegende Gelb- und Grün- 
töne, die mit der Komplementärfarbe zu Gelb, 
mit Violett, kombiniert werden. Auch in der 
Motivwahl bleibt Alberto seinen beiden 
Vorbildern verbunden, deren Hauptthemen 
die heimatliche Landschaft und die eigene 
Familie sind, und er bringt, wie diese, mit 
dem Naturausschnitt seine Empfindungen 
beim Anblick der vertrauten Umgebung zum 
Ausdruck. 
Seit seinem 10. Lebensjahr zeichnete Alberto 
Giacometti nach der Natur, und seine 
Geschicklichkeit gab ihm das Gefühl, wie er 
selbst später sagte, er «könne mit diesem 
grossartigen Mittel, der Zeichnung, alles 
einfangen, alles bezwingen». Bei seinem 
Vater, Giovanni Glacometti, hatte er bereits 
als Knabe die künstlerischen Richtungen 
des Impressionismus und des Pointillismus 
kennengelernt und die Auseinandersetzung 
mit Cezanne, van Gogh und Hodler mit- 
arlebt. Sein Pate, Cuno Amiet, machte ihn 
mit der Kunst Gauguins und der Schule von 
?ont-Aven sowie mit dem Fauvismus und 
dem Expressionismus der Brücke-Maler 
vertraut, denen sich Amiet 1906 an- 
geschlossen hatte. Nachdem Alberto auf 
Anraten seines Vaters 1919 seine künst- 
lerische Ausbildung an der Ecole des Beaux 
Arts in Genf begonnen hatte, verbrachte er 
1920 einige Zeit bei Cuno Amiet in 
Oschwand, wo beide gemeinsam vor der 
Landschaft arbeiteten. Die von dem Paten 
vermittelten Vorstellungen Gauguins über 
die Ausdruckskraft der Farbe beeindruckten 
Alberto sehr, so dass er später über diese 
Zeit schreiben konnte: «Ich hatte die Über- 
zeugung, dass der Himmel nur aus Kon- 
vention blau, in Wirklichkeit aber rot ist! .» 
Die künstlerische Selbstsicherheit seiner 
Jugend — sie dauert nur so lange, als er die 
Kunstkonventionen nicht in Frage stellt — 
macht bald einem tiefgreifenden Zweifel 
Platz, der ihn sein ganzes Leben nicht 
verlässt. 1922 geht er nach Paris an die 
Academie de la Grande-Chaumiere, wo er 
bei Bourdelle Modellstudien betreibt. Dort 
werden ihm die Schwierigkeiten, die Wirk- 
lichkeit zu begreifen und wiederzugeben, 
schmerzhaft bewusst. Im Rückblick schreibt 
er 1947: «Da ich trotzdem das, was ich sah, 
so gut wie möglich verwirklichen wollte, 
begann ich in meiner Verzweiflung, zu Hause 
in dem Aquarell B/ühender Baum vor dem aus dem Gedächtnis zu arbeiten.» Aus dem 
Atelier in Stampa, das um 1920/22 im Gedächtnis und nicht nach dem Naturvorbild 
neimatlichen Stampa entsteht, sind die zu arbeiten bedeutet, zunehmend der 
Anregungen von Giovanni Giacometti und Imagination Spielraum gewähren. Es ent- 
Amiet zu erkennen. In der lichterfüllten stehen die ersten Hauptwerke, die sogenann- 
Farbigkeit lehnt sich Alberto insbesondere ten Scheibenplastiken. « Diese Werke stellten 
an den fauvistisch beeinflussten Kolorismus aber nur einen gewissen Teil meiner 
seines Vaters an. Allerdings gibt er den auch Vorstellung von der Wirklichkeit dar; es 
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