fehlte noch das, was ich für das Ganze
fühlte; eine Struktur, eine gewisse Schärfe,
die ich auch vor mir sah, etwas Skelett-
artiges im Raum2.» Ende der zwanziger
Jahre lernt Giacometti die Surrealisten
kennen; er zählt seit 1930 zu ihrem Kreis.
Die in dieser Zeit entstandenen Werke
gehören zu den bedeutendsten Plastiken des
Surrealismus. Die Surrealisten suchten aus
dem Ungenügen an der nur optischen Wahr-
nehmung und in Reaktion auf die vom
Intellekt geprägte Welt nach erweiterten
Erfahrungsmöglichkeiten, in denen sich das
Bewusste und das Unbewusste durchdringen,
in denen sich «die Grenzen zwischen der
sogenannten Innenwelt und der Aussenwelt»
verwischen (Max Ernst). Es wurden neue
bildnerische Techniken eingesetzt, um das
Überraschende, das Unbekannte und das
Vieldeutige zu entdecken. « Es ging mir nicht
mehr darum, eine Figur äusserlich ähnlich
darzustellen, sondern darum, zu leben und
nur das zu verwirklichen, was mich bewegte
oder was ich wünschte». schrieb Giacometti2.
Plastik als vertiefte Rille ausgeführt ist. Über
diese Linie hinweg erfolgt der bedrohliche
Stoss der auf einem Nagel aufgepflanzten
keulenförmigen Figur gegen das Auge des
Gegenspielers. In dessen Totenschädel und
den skelettartigen Rippen klingt das Todes-
motiv an. Die Bedrohung — Glacometti
bezeichnet die Plastik 1947 in einem Brief
an Pierre Matisse als « Pointe menacante
l’ceil d’une t&te-cräne» — scheint nach
festgelegten Spielregeln zu erfolgen: dies
zeigt das klar abgegrenzte Spielfeld, in dem
die beiden Akteure genau auf den gegen-
iberliegenden Linien stehen. Eine ihre beider.
Dositionen verbindende Diagonallinie
scheint das Unausweichliche, das Vor-
gezeichnete ihrer Begegnung anzudeuten,
in der das schutzlos sich öffnende Skelett
der aggressiven Spitzigkeit der Keule
hoffnungslos unterlegen ist. Eine sehr
ähnliche Konstellation hatte Giacometti in
dem Werk « Homme et femme» von 1928/29
geschaffen. Während jedoch dort die
Aggression unverhüllt in ihrer sexuellen
Symbolik hervortritt, geht das Geschehen in
Die in diese Zeit zu datierende Feder- «Pointe a l’CEil» über die für den Surrealismus
zeichnung Pointe a l’(Ei/ kann als Vor- kennzeichnende Geschlechtsproblematik
zeichnung zu der gleichnamigen Plastik von hinaus. Das Werk stellt eine allgemeinere
1931, die sich ebenfalls im Kunsthaus Zürich Bedrohung des Lebens dar: die Keulenspitze
in der Giacometti-Stiftung befindet, zielt in das Lebenszentrum des Menschen,
angesehen werden. Häufig sind die sur- in das Auge. Franz Meyer hat in seiner
realistischen Zeichnungen jedoch auch im Giacometti-Monographie auf die Verbindung
Anschluss an die Plastik entstanden. mit dem Film «Un chien andalou » aufmerk-
«Pointe a l’CEil» gehört in die Reihe der sam gemacht, den Dali und Bufuel 1929
Werke, in denen Giacometti eine stark gedreht haben. Dort wird in einer der
aggressive Thematik entfaltet. Er hatte In eindrücklichsten Szenen ein Auge von einem
dieser Zeit besonders engen Kontakt zu Rasiermesser durchschnitten. Reinhold Hohl
Andre Masson, in dessen Bildern die berichtet, dass in jenem Herbst 1929
Aggressivität das beherrschende Thema ist. Giacometti eine besonders enge Freund-
Zwei Figuren stehen sich auf einem deutlich schaft mit dem surrealistischen Dichter
abgegrenzten Feld gegenüber, getrennt durch Michel Leiris verband. Dieser war damals
eine doppelt ausgezogene Linie, die In der voller drastischer Geschichten, und er
I)