geht das Thema auf ein Jugenderlebnis zurück.
Während seiner Ausbildungszeit 1921—24 erlebte
ar in Rom die Zusammenstösse, Schiessereien und
Strassenschlachten der Nachkriegszeit und be-
richtet über den Einmarsch der Faschisten unter
Mussolini: «Einige wenige der Männer des frühen
Faschismus, gefolgt von unübersehbaren Marsch-
xolonnen schwerbewaffneter Männer. Die thea-
tralisch aufgezogene Machtübernahme der
-aschisten, die dann in der Folge die Geschicke
'taliens lenken sollten, hatte vorerst etwas Geister-
haftes2.» Franz Fischer ist nicht der einzige, der
sich auf Grund früher Erfahrungen mit dem Thema
Masse auseinandersetzt. Man denke nur etwa an
zlias Canettis Buch «Masse und Macht». Franz
5ischer sieht in der Masse ein zentrales Thema
unserer Zeit. Er bewahrt zum Beispiel Zeitungs-
ausschnitte mit Photographien von Menschen-
massen auf. Angesichts einer Photo aus China
spricht er von der Faszination, die von dieser An-
sammlung von Massen und ihrer Auflockerung aus-
geht und die ihn anregt. Ihn fesselt vor allem die
Masse in Bewegung, das «fugitif», wie er es nennt,
der Augenblick, in dem alle auf ein Wort — sei es
das eines Diktators oder einer anderen furcht-
erregenden Macht — in eine Richtung fliehen oder
stürmen. Für die Gestaltung dieses Themas hat er
im Relief das ihm adäquate Mittel der Bildhauerei
gefunden. Er verwendet nicht das strenge Relief,
bei dem die Figuren vor einer neutralen, glatten
Fläche stehen, sondern nähert sich dem male-
rischen Relief, indem er den Grund mit einbezieht
und die Figuren mit unterschiedlichen Reliefhöhen
mehr oder weniger in ihn eingehen lässt. Die Gattung
des malerischen Reliefs wurde im 15. Jahrhundert
von Donatello und Ghiberti ausgebildet. Ein
raffinierter Illusionismus unter Andeutung von
perspektivischen Landschafts- oder Architektur-
hintergründen verband das Relief mit der Malerei.
Franz Fischer verzichtet im Gegensatz dazu auf
jede Raumillusion und setzt seine Figuren in
lockerer Streuung auf die freie Fläche. Dem Ver-
zicht auf Raumillusion entspricht der Verzicht auf
Körperillusion: die einzelnen Figuren sind nicht
mehr im realistischen Sinn mit Wölbungen und
Vertiefungen modelliert, sondern besitzen eine vom
Naturvorbild unabhängige, geometrisierende
Binnenstruktur. Die facettenhafte Aufsplitterung der
Figur bewirkt, dass die Übergänge zwischen Licht
ınd Schatten nicht mehr kontinuierlich erfolgen,
sondern dass sich an den Kanten Hell und Dunkel
schroff gegenüberstehen. Der Hell-Dunkel- Kontrast
erzeugt eine fast abstrakte Struktur über die gesamte
Fläche hinweg und verstärkt auf diese Weise den
Eindruck der erregten Bewegung der Masse.
Unterstützt wird dieser Eindruck durch die Aus-
bildung der Figuren als Ausdrucksgestalten, die
sich hauptsächlich in der Gebärde realisieren®.
Ganz ähnliche Gestaltungsprinzipien lassen sich in
unserer Zeichnung « Unruhe I» nachweisen. Auch
hier sind die weissen Flächen nicht im Sinne einer
traditionellen Körpermodellierung mit kontinuier-
'ichen Übergängen von Hell zu Dunkel eingesetzt.
Ihre scharf begrenzten, geometrisierenden Flächen
entsprechen den lichtauffangenden Facetten im
Relief, während die unbemalten dunklen Flächen
das Pendant zu den dem Licht abgewandten, also
den Schattenseiten im Relief darstellen. Die weisser
Flecken ergeben insgesamt ein abstraktes Muster,
das die Menschengruppe strukturiert und In seiner
Hell-Dunkel-Rhythmik die Dynamik der Szene
Junterstützt. Auch die sprunghaften Grössen-
unterschiede zwischen den einzelnen Figuren der
Gruppe tragen zu dem «unruhigen» Charakter des
Geschehens bel.
Ebenso wie im Relief spielt die leere Fläche, auf
der sich die Figuren bewegen, eine wichtige Rolle
Obwohl diese Fläche keine Andeutungen von
Landschafts- oder Architekturhintergründen ent-
hält, suggeriert sie dennoch einen Raum. Die
Figuren greifen mit ihrer expressiven Bewegtheit
und ihren vielfältig ausladenden Umrissen in die
Fläche aus und aktivieren diese zu einer eigenen
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