sinen recht verwandten Bildaufbau zeigt. «Coucher Komponieren des Landschaftsmotivs sprechen, es
de soleil» von 1917 (entstanden in Villerville, einer weist eindeutig auch eine ornamentalisierende
kleinen Ortschaft unmittelbar westlich von Hon- Tendenz auf. Dieser Charakterisierung im formalen
fleur) ist ebenfalls streng horizontal gegliedert, Bereich entspricht auch die strahlende, plakativ
ebenfalls ein ausgesprochenes Querformat. Auch vereinfachende, zur Zeit der Entstehung des Bildes
hier keine Spur des Menschen, auch hier ein Bild, wohl auch als schockierend empfundene Farbigkeit
das in seiner Breitenausdehnung unbeschränkte Der leuchtende Klang von orangefarbenem Himmel
Weite evoziert. Vallotton hat sich mit dem Thema blauem Meer, rosa Strand und schwarzem Seetang
des Sonnenuntergangs wiederholt auseinander- muss als willentliche Steigerung des Naturein-
gesetzt®. Er liebte es, vom gleichen Thema mehrere druckes gesehen werden. Von impressionistischem
Fassungen zu machen, wobei niemals eine Version Eingehen auf unmittelbare Natureindrücke Ist hier
als die endgültige betrachtet werden kann; es nichts mehr zu spüren. Erinnern wir uns nur daran,
handelt sich vielmehr um Variationen, wobei jede wie beispielsweise Monet einen Sonnenuntergang
Fassung für sich selbst steht. Gegenüber dem gemalt hat, so wird die Distanz in der Auffassung:
Leningrad-Bild haben sich die Merkmale von deutlich. Aber auch wenn wir an einen Zeitgenosser
Vallottons Spätstil in «Coucher de soleil» wesent- Vallottons, den Norweger Edvard Munch, denken,
lich verstärkt. Die Komposition des Bildes ist noch der dieses Thema mehrfach behandelt hat, so wird
strenger geworden. Jede Farbfläche wird klar in dieser Gegenüberstellung Vallottons Eigenart
gegenüber den Nachbarpartien abgesetzt, wobei spürbar. Von der Lichtmystik des Nordländers fehlt
die Farben selbst noch flächiger aufgetragen sind. jede Spur, bei Vallotton ist jedes Detail formal
Vallotton verzichtet in seinem Spätwerk weitgehend gebändigt, gleichsam distanziert vorgetragen. Und
auf Charakterisierung einer Oberflächenbeschaffen- dennoch ist gerade dieses Bild von eindringlicher
heit, so dass man mit gutem Recht sagen kann, Einprägsamkeit und trotz aller Strenge des Aufbaus
dass diese Bilder und insbesondere diejenigen, die von gleichsam natürlicher Gelöstheit. Gerade in
das Thema des « Coucher de soleil» behandeln, diesem scheinbaren Widerspruch manifestiert sich ir
trotz scheinbarer gegenständlicher Treue weit- den geglücktesten Werken aus Vallottons Reifezeit
gehend einem abstrakten Empfinden folgen. Diese seine Vision, die in der Kunstgeschichte des
abstrahierende Tendenz wird auch dadurch evident, 20. Jahrhunderts nur schwierig einzuordnen Ist.
dass das Landschaftsbild in noch stärkerem Masse Vallotton hat das Schicksal des Einzelgängers auf
zum «paysage compose» geworden ist. Das Bild sich genommen, und wenn auch spätere Tenden-
des Kunsthauses ist streng symmetrisch gebaut, die zen — ich denke an die Neue Sachlichkeit oder .den
Sonne befindet sich exakt in der Bildmitte, wobei veristischen Surrealismus im Sinne Magrittes — ihr
auch die Horizontalteilung so gestaltet ist, dass die neue Aktualität und Vorläufertum attestiert haben.
Bildhöhe durch den Vordergrund einerseits und so bleibt doch zu betonen, dass Vallotton in der
durch Meer und Himmel andrerseits hälftig geteilt Zeit nach dem Ersten Weltkrieg häufig missver-
ist. Nur die Vordergrundszonen, das heisst, die standen und schon gar nicht von einem breiten
Sandbank und der schwarze Seetang, verzichten Publikum geschätzt wurde. Daran ändert auch die
auf geometrisierende Vereinfachung, wobei zu Tatsache nichts, dass unsere heutige Zeit in Vallot
bemerken bleibt, dass die Rinnsale der Sandbank ton einen Exponenten sieht, auf den sich manches
längs dem unteren Bildrand auch wieder mehr oder später Geschaffene zu beziehen scheint; In etwas
weniger gegen die Mitte hin symmetrisch ver- verwegener Weise könnte man auch den Bogen
laufen. Bei diesem Werk muss man nicht nur vom von einem Bild wie « Coucher de soleil» zu den
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