(angestammten» Platz auf der Palette hatte, konnte
die Hand mit dem Pinsel die zu wählenden Farben
auch im Dunkeln finden. Und dunkler wurde es ...,
bis am Ende die Farbflecken nur noch wie In einer
Art Selbst-Hypnose auf die Leinwand gesetzt wur-
den, fühlend und spontan tastend, wie sie sich mir
auf-drängten oder zu-fielen, so dass sich das Bild
mehr vor dem inneren als vor dem sehenden Auge
vollenden musste!9.»
Das von Frau Richter geschenkte Bild «B/auer
Mann» (Abb. 8) (sowie im weitesten Sinne auch
das Bild « Herbst») gehört in die Reihe der «Visio-
nären Porträts», von denen 1917 in wenigen Mona-
ten beinahe hundert entstanden. Der Begriff
«visionär» bezieht sich nicht nur auf das Arbeits-
verfahren, er bezeichnet auch den Ausdruck der
"nneren Existenz der porträtierten Persönlichkeit.
Dargestellt ist der spanische Graf Pedroso, ein
Freund des Politikerjournalisten Julio Alvarez del
Vayo, der zum engeren Kreis um Hugo Ball und
Emmy Hennings gehörte. Das Frappierende an
diesem Porträt ist, dass der mächtige Kopf des
Spaniers völlig monochrom, blau in blau, gemalt ist.
Die Details des Gesichtes heben sich nur durch
Nuancierungen des Blaus voneinander ab. Allein
die Augen sind durch eine weisse Umrandung
herausgehoben, und die Verschiedenartigkeit ihrer
Form wird betont, indem das linke blau, das rechte
dagegen braun ist. Die Augen in ihrer offensicht-
iichen Unterschiedlichkeit geben dem Porträt das
Durchdringende und Beschwörende. « Meine Visio-
nären Porträts von 1917 drücken die innere Existenz
des Menschen aus, weshalb in vielen Köpfen ein
Auge nach innen und ein Auge nach aussen
schaut!!.» Der Konzentration der Farbe entspricht
die Konzentration der Form auf einfache Elemente:
die Eiform des Kopfes, die so deutlich hervortritt,
weil die Ohren weggelassen sind, die Keilform der
Nase und die Birnenform der Kinnpartie. Die Reduk-
tion auf wenige Grundformen erinnert zusammen
mit den kantigen Schatten an Richters kubistisch
beeinflusste Zeit. Die Farbigkeit dagegen, vor allem
der tachistisch aufgelockerte, abstrakte Hinter-
grund in Rot, Gelb und Braun, Ist stark vom
Expressionismus und « Blauen Reiter» geprägt.
Hier wie dort wird die Farbe nicht mehr abbildhaft
in Nachahmung vorgefundener Wirklichkeit ein-
gesetzt, sondern in ihrem eigenständigen Ausdrucks
und Gefühlsgehalt. Die Farbe Blau, die im « Blauen
Reiter» als programmatische Farbe gewählt wird,
bedeutet seit der Romantik die Sehnsucht nach
geistiger Erfüllung. Farblich wie formal erstrebt
Richter somit unter Weglassung aller nebensäch-
jichen Details die Erfassung der Persönlichkeit in
ihrem Wesenskern.
Der spontane, fast automatische Prozess, mit dem
Richter 1917 seine «Visionären Porträts» malte,
befriedigte ihn bald nicht mehr. Aus der Erkenntnis.
dass «Vernunft und Anti-Vernunft, Sinn und Un-
Sinn, Plan und Zufall, Bewusstsein und Un-
Zewusstsein zusammengehören und notwendige
Teile eines Ganzen darstellen'?», suchte er nach
ainem Gleichgewicht zwischen Unbewusstem und
Bewusstem. Er kehrte zu den strukturellen Pro-
blemen seiner kubistischen Periode zurück. Er
lernte zu der Zeit Ferruccio Busoni kennen, der Ihm
riet, die Prinzipien des musikalischen Kontrapostes
zu studieren, um sie auf die Elemente der Malerei
anzuwenden. Richter benutzte dafür Köpfe, die ihm
seit seinen ersten Bildniszeichnungen, die er als
Vierzehnjähriger von seinen Freunden, Klassen-
Kameraden, Lehrern und Familienangehörigen
machte, zum vertrautesten Motiv geworden waren.
An dem Thema des Kopfes vollzog sich seine Ent-
wicklung zur Abstraktion. Wie in dem «Dada-Kopf)
von 1917 (Abb. 7) bereits erkennbar wird, begann
Richter frei mit den Elementen zu spielen. Er baute
seine Bilder kontrapunktisch aus Schwarzweiss-
flächen auf, wobei das Hell und das Dunkel, das
Positive und das Negative in ein dynamisches
Verhältnis zueinander traten. Sehr rasch kam er vorn
den noch gegenständlichen Köpfen zu abstrakten
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