Volltext: Jahresbericht 1977 (1977)

kommen ist, scheint darauf hinzuweisen, dass 
religiös-magische Glaubensvorstellungen das 
xünstlerische Schaffen ausserordentlich stark an- 
geregt haben — eine Quelle der Inspiration, die die 
heidnische Zeit überlebt und noch in der christ- 
lichen Ära befruchtend gewirkt hat.» Goethes Wort 
«Der Aberglaube ist die Poesie des Lebens» 
(Maximen und Reflexionen) könnte als Leitsatz 
über dem Wirken dieses Liebhabers des Homo 
Magus stehen. 
Das Ölbild «Le Sous-Marin» gehört zu den frühen 
Beiträgen Seligmanns an die surrealistische Malerei. 
Wie einige weitere, ebenfalls um 1930/32 ent- 
standene Bilder verwandten Charakters lässt es in 
der dunkeltonigen, fast altmeisterlichen Farbstim- 
mung Seligmanns starke Beziehungen zur alt- 
deutschen und altniederländischen Malerei er- 
kennen. Das dominierende Bildmotiv, ein aus 
Einzelformen zusammengesetztes Gebilde, schwebt 
Frei im Bildraum. Solche Kompositformen waren 
damals beliebt (auch als Produkt des surrealistischen 
Gesellschaftsspiels des «Cadavre exquis»); sie 
erscheinen ebenfalls in der Skulptur, bei Picasso und 
Giacometti etwa. Bekannt wurden sie durch die 
Folge von Zeichnungen Picassos, die unter dem 
Titel «Une Anatomie» in der ersten Nummer der 
Zeitschrift « Minotaure» vom Februar 1933 ver- 
öffentlicht wurden. 
Thema von Seligmanns « Unterseeboot» Ist die 
geheimnisvolle Welt der Meerestiefen. Unter den 
Surrealisten hat sich vor allem Yves Tanguy mit 
der submarinen Welt beschäftigt, die uns dank 
Tauchsport und Unterwasserphotographie In Ihrer 
Vielfalt und Phantastik inzwischen vertrauter ge- 
worden ist. Während bei Tanguy jedoch das bio- 
morphe oder petrifizierte Geschehen auf dem 
Meeresgrund meist in eine lichte, blaugraue 
Atmosphäre getaucht ist, herrscht bei Seligmann 
mystisches Dämmerdunkel. Das aus Formstücken 
unterschiedlich linearen, flächigen und schein- 
plastischen Charakters montierte, schwebende oder 
schwimmende, halb biomorphe, halb technische 
Gebilde mag an eine Art Seeungeheuer erinnern, 
ist Jedenfalls der Ausdruck einer ungebundenen 
Formphantasie. Die linearen Elemente erwecken die 
Vorstellung von Fischschwanz, Takelage, Segel- 
werk. Der geringelte Schwanz des Ungeheuers 
gehört zur Vorstellung eines Drachen. Denkt man 
nicht nur an mittelalterliche Bestiarien, sondern an 
die Bildwelt der Magie, so spielt dort die Schlange 
Pythia eine Rolle; in der Gnostik steht Abraxas 
statt auf Beinen auf zwei Schlangenleibern; und im 
Bereich der Alchimie gibt es den hermetischen 
Drachen, den Hermes mit Drachen-: oder Schlan- 
genschwanz. 
Zwischen zwei dreieckigen, plattenartigen Ele- 
menten, die an Segel erinnern mögen, lugt als 
dominierendes Bildelement bedrohlich eine betont 
kugelige Form mit einer Art Augenhöhle hervor. 
Erinnerung an die Taucherglocke (wie in Max 
Ernsts «Elephant Celebes») oder an den Taucher 
helm? Aus der Kompositform entweichen nach 
unten zwei Tränen wie kleine Fische, und hinter 
dem bugförmigen Dreieck strahlt hell ein wenig 
Sonne hervor, mit Strahlen wie Tentakeln; vielleicht 
eine Anspielung auf Gott Sol, den Seligmann als 
Tarockkarte gerne in der Hand hielt. Nach rechts 
schliesslich ragt noch ein rohrartiges Element her- 
vor, eine Art Düse, die mit der Vorstellung des 
Unterseebootes zu verbinden ist. Schon Kurt 
Schwitters hat sich in dem Holzrelief « Breite 
Schnurchel» von 1923 an dem für die Belüftung 
eines U-Bootes entscheidenden Rohrmechanismus 
des «Schnorchels » inspiriert. 
Der Gedanke an Schiffe, die unsichtbar unter der 
Wasseroberfläche Menschen, meist zu kriegeri- 
schem Zweck, über weite Distanzen transportieren 
können, taucht als Lieblingsidee technischer 
Träumer seit der Antike auf. Leonardo da Vinci hat 
ihr so gut gehuldigt wie Jules Verne, dessen phan- 
Q-
	        
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