Volltext: Jahresbericht 1977 (1977)

FRANZ GERTSCH, «FRANZ UND LUCIANO», 1973 
«Ein Diapositiv zu interpretieren ist so ereignis- 
reich wie die Natur zu interpretieren.» Mit dieser 
Aussage interpretiert Franz Gertsch sein eigenes 
Werk und erklärt zugleich, warum er die photo- 
graphische Vorlage als wesentlichen Bestandteil 
seiner Malerei auserwählt hat. Franz Gertsch, 1930 
in Mörigen bei Bern geboren, ist der führende 
Photorealist der Schweiz, und mindestens seit der 
Documenta 1972 hat er die internationale Kunst- 
szene betreten. Er ist somit aufgenommen in die 
grosse Bewegung des photographischen Realismus, 
der seine Vertreter sowohl in Amerika wie In 
Europa hat. Was Franz Gertsch von den ameri- 
kanischen und auch den meisten europäischen 
Photo- oder Hyperrealisten — wie Immer man die 
<unstrichtung bezeichnen will — unterscheidet, ist 
grundsätzlicher Art: während fast alle Photo- 
realisten Ihre Bilder spritzen, malt Gertsch beinahe 
altmeisterlich mit dem Pinsel. Hinter jedem Bild 
von Gertsch steht ein langer handwerklicher 
Arbeitsprozess und eine malerische Tradition, die 
den amerikanischen Hyperrealisten fremd ist. 
Gertsch sucht den Widerstand der Leinwand, mit 
der er sich auseinandersetzen will. Er benutzt sie 
ungrundiert. So saugt sich die Farbe in die Lein- 
wand ein — wie bei Morris Louis oder Mark 
Rothko, ohne deren Vorbild Gertsch wohl kaum 
auf diese Methode des Farbauftrags gekommen 
wäre. Die enge Verbindung von Farbe und Lein- 
wand begünstigt eine stoffliche Wirkung dieser 
Malerei, die wiederum ganz aus der Farbe resultiert. 
Seit Franz Gertsch sein erstes Bild nach einer 
photographischen Vorlage vor acht Jahren malte. 
sind nicht sehr viel mehr als ein Dutzend Bilder 
entstanden. Der Arbeitsprozess ist lang und braucht 
Geduld und Ausdauer. 
Das Bild « Franz und Luciano» entstand 1973, zu 
einem Zeitpunkt, da Gertsch bereits durch seine 
Malweise Aufsehen erregt hatte. Man darf es 
zweifellos als ein typisches Bild des Malers be- 
zeichnen. Porträtiert ist ein Freundespaar aus der 
privaten Kreis des Malers. Über Jahre hat Franz 
Gertsch nur Familie und Freunde gemalt, Menscher 
also, die Ihm persönlich nahestanden. Auftrags- 
Dilder, so meint er selbst, wären ihm unmöglich. 
Er muss Mensch, Situation, Sujet selbst wählen 
können. Luciano (der Maler Luciano Castelli aus 
Luzern) gehört zu den bevorzugten « Modellen». 
Jedem Bild liegt eine Reihe von photographischen 
Aufnahmen zugrunde, die Gertsch selbst macht. Eı 
trifft die Auswahl und entscheidet damit, welche 
Dhotographie Ihm bildwürdig erscheint. Das Dia- 
positiv wird projiziert und auf das Format gebracht 
das dem Maler vorschwebt. Immer geht das Bild 
über Lebensgrösse hinaus. Dann setzt der lang- 
wierige Arbeitsprozess ein. Was an allen Bildern 
von Franz Gertsch sofort ins Auge fällt: die starke 
Transparenz der Farben. Das Licht des Diapositivs 
wird tatsächlich durch die transparente Farb- 
gebung neu geschaffen. Das Sujet des Zürcher 
Bildes ist aus dem banalen Alltag gegriffen wie alle 
Bilder von Gertsch: Halbfigurenporträts im Halb- 
orofil In einem Raum — es ist die Eintrittshalle des 
Luzerner Kunstmuseums —, der kaum durch 
Nennenswertes markiert ist, eine Wand mit zwei 
angeschnittenen Bildtafeln, Teil eines Pakets. Die 
Bedeutsamkeit liegt allein auf den Figuren, die in 
packender Präsenz wiedergegeben sind. Beide 
schauen nach rechts, beobachten etwas, was 
ausserhalb des Bildes geschieht, Franz mit leicht 
geöffnetem Mund, Luciano mit geschlossenen 
Lippen. Der eine blond, der andere dunkel, einer 
mit hellblauer Jeansjacke und buntgestreiftem 
Pullover gekleidet, der andere dunkel und unauf- 
:ällig. All das sind Unterschiede, die Gertsch 
natürlich auf der photographischen Vorlage gesehe! 
hat und die Ihm für die Bildkomposition wichtig 
schienen. Für jeden Betrachter verblüffend ist die 
Präzision, mit der das Bild gemalt ist. Jedes 
kleinste Detail ist sorafältig wiedergegeben. Dabei 
an
	        
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