ROBERT DELAUNAY:
ORMES CIRCULAIRES, 1930
Seit vielen Jahren hing Robert Delaunays Gemälde
«Formes circulaires» als Leihgabe im Kunsthaus
und gehörte für manchen Besucher zu den Spitzen-
werken innerhalb des 20. Jahrhunderts. Jetzt ist
dieses Bild durch Ankauf zum festen Bestandteil der
Sammlung geworden. Das grossformatige Bild
stellt sich in der Anlage wie ein Dyptichon dar: zwei
grosse Kreisformen, die sich in der Mitte knapp
jberschneiden, beherrschen die Bildfläche. Beide
Kreise setzen sich sowohl formal wie farblich
voneinander ab. Links beherrschen Blautöne, kombi-
niert mit Gelb, Orange, Grün, die Farbskala, und
der Kreis ist halbiert durch eine Diagonale von ellip-
tischen Kreisen — rechts ist die Farbgebung von
Gelb und Rot bestimmt, und kleine Kreise rotieren
innerhalb der grossen Kreisform. Unschwer
erkennen wir, dass eines der zentralen Themen von
Delaunay hier zur Darstellung kommt. Seitdem
er 1912 — im gleichen Jahr also, als Kandinsky seine
theoretische Schrift « Über das Geistige in der Kunst»
veröffentlichte — mit den ersten Kompositionen
von « Formes circulaires» zur abstrakten Malerei fin-
det, hat ihn das Thema bis zu seinem Tode im Jahre
1941 nicht mehr verlassen. Die Sammlung des
Kunsthauses beherbergt eine weitere Komposition der
«Formes circulaires», 1912-1931 datiert, die in
direktem Zusammenhang zum Neuankauf steht. Die-
selben Formen, aus denen das grosse diptychon-
artige Bild von 1930 besteht, sind hier in einem ein-
zigen Kreismotiv zusammengefasst. Und auch
farblich sind die gleichen Töne gegeneinandergesetzt.
Beide Bilder repräsentieren das, was Apollinaire
bereits 1912 mit dem Begriff des «Orphismus» um-
schrieb. Für Delaunay selbst waren seine « Formes
circulaires» und «Disques simultanes» (eine Aus-
drucksvariante desselben malerischen Problems)
die ersten Zeugen seiner Peinture pure, unter der er
das Zusammenspiel von Farbe und Form verstand
und darüber hinaus Farbe wiederum als Einheit vor
Farbe und Licht auffasste.
In der Peinture pure sah er sein künstlerisches Ziel
erreicht. Seit 1912 hat er nicht aufgehört, diese sein“
künstlerische Konzeption zu vervollkommnen.
«La couleur, les couleurs avec leurs lols, leurs con
trastes, leurs vibrations lentes par rapport aux
couleurs rapides ou tres rapides, leur intervalle. Tour
ces rapports forment la base d’une peinture qui
n’est plus imitative, mais creative par la technique
mäme. A ce propos Apollinaire a parle& d’Orphisme,
mais c’est de la litte&rature. En realite, c’etait la nais
sance d’un art qui n’a plus rien ä faire avec l’inter-
oretation ni la description des formes de la nature. Aı
lieu, comme la musique, d’&tre un art auditif,
dest un art visuel dont les formes, les rythmes, les
developpements partent de la peinture möme,
zsomme la musique n’a pas de sonorite de la nature
mais des rapports musicaux. La peinture devient
de la peinture» schreibt er 1924. Seine Überzeugunc
dass nur die Einheit von Farbe und Form zur reinen
Malerei führen kann, hat ihn indessen nicht ge-
hindert, seine abstrakten Formen von Kreis und
Ellipse, die sich ihm zur Erreichung seiner Farb-Lich
Vorstellungen am ehesten anboten, immer wieder
mit figurativen Elementen zu durchsetzen. Seine
Komposition «Hommage ä Bleriot» von 1914 wiro
zwar von konzentrischen Kreisen vollständig aus-
gefüllt, aber mitten unter ihnen entdecken wir den
Eiffelturm, den er Jahre zuvor immer wieder gemalt
hatte und der, wie die « Fen&tres », für weitere zwanz'
Jahre ein bleibendes Motiv ist. Aus dem gleichen
Jahr stammt auch « Drame politique», zu dem eine
Zeitungsillustration die Anregung gab. Sie schildert
ein Drama, das Tagesgespräch in Paris: die Ermor
dung des Direktors des « Figaro», Gaston Calmette,
durch die Frau des Finanzministers Joseph Caillaux
Delaunay hat beide Figuren in seinem Bild dar-
gestellt, sie aber in die rotierende Bewegung seine'
Kreisform aufgenommen. Die reine Abstraktion