Volltext: Jahresbericht 1978 (1978)

Datiert ist das Werk 1967-1977. 10 Jahre also liegen 
zwischen dem Anfang und der Fertigstellung. 
zormal gehört es in die Reihe der reliefartigen Arbei- 
ten, die Tinguely in den sechziger Jahren vereinzelt 
machte, die aber gegenwärtig für Ihn von neuer 
Bedeutung zu sein scheinen, nämlich «Si c’est noir je 
m’appelle Jean» von 1960, eine vergleichsweise 
flache Assemblage von reliefartigem Charakter, 1966 
Vorhang für das Ballett « L’eloge de la folie» von 
Rolant Petit, vor allem aber das «Requiem pour une 
feuille morte », ein Riesenrelief für den Schweizer 
Pavillon der Weltausstellung in Montreal 1967, dem 
gleichen Jahr also, in der er « Hommage an Calder 
und Stankiewicz» beginnt. Beide Werke arbeiten mit 
Rahmenkonstruktionen, in die die einzelnen Teile 
aingelassen sind. Diese Rahmenstruktur ist das, was 
Tinguely in seinen Jüngsten Arbeiten wieder 
aufgegriffen hat. «Hommage an Calder und Stan- 
kiewicz» verklammert zwei Epochen und greift eine 
Konzeption auf, die In «Requiem pour une feuille 
morte» angelegt und in der « Metaharmonie» von 
1978 aufgegriffen und weitergeführt wurde. Beiden 
Werken ist auch eine neue Iyrische Stimmung 
eigen. Die Poesie der frühen Arbeiten, der Baluba- 
Skulpturen, der «Sorciere» und der Plastik « Mes 
Roues» ist verändert wieder angestimmt. 
Betrachtet man «Hommage an Calder und Stankie- 
wicz» im Detail, so begegnen uns alle Elemente, 
die wir aus dem Formenschatz des vom Junk beses- 
senen Tinguely her kennen: Räder, Kolben, eine 
Spirale (die er 1969 z. B. als Einzelplastik verwen- 
dete), aber auch Maschinenverzierungen des 
1ostalgischen, gusseisernen Zeitalters, die sich als 
Ornament in der Rahmenstruktur verirrt haben, 
verbinden sich zu einer wunderbar harmonischen 
Assemblage-Komposition, die die Aggressivität 
mancher seiner grossen Pseudomaschinen ganz aus- 
klammert. Gerade gegenüber diesen Meta- 
Maschinen ist auch ein Element in Tinguelys Werk 
zurückgekehrt, das mehr als ein Jahrzehnt nicht 
mehr auftrat: die Farbe. Wie die « Balubas» und « Mes 
Roues» von 1960-1961 wird « Hommage an 
Calder und Stankiewicz» von einer Variation von 
Farben bestimmt, die diesem Maschinenrelief 
auch in statischem Zustand einen starken optischen 
Reiz verleihen. Im Zentrum leuchtet ein blauer 
Eisenrahmen, ein violettes Rohr steht zu einem gelben 
Rad in Konkurrenz und ein leuchtend rotes, dünnes 
Rohr wiederum hebt sich von der Umgebung rostroteı 
Patina ab. Wie in den « Balubas» spielt Tinguely 
auch wieder mit Federn: blau-rot-braun heben sie 
sich gegen die metallene Härte der Teile ab und 
drehen sich wirbelnd — ist die Maschine in Bewe- 
gung gesetzt. In Bewegung erschliesst sich dem 
Betrachter die Assemblage der einzelnen Teile erst 
vollständig. Der verschiedene rhythmische Be- 
wegungsablauf eines jeden Teiles ist wiederum eine 
Assemblage von Bewegungen, die zu einem 
geschlossenen Bewegungsbild zusammenwachsen. 
Die einzelnen Bewegungsabläufe haben — ab- 
gesehen vom wild tanzenden Federbüschel — dadurch 
etwas Feierliches. Die Rahmenarchitektur verleiht 
der Komposition etwas Bühnenwirksames. Es mag 
vielleicht einem anderen Betrachter ebenso 
gehen wie mir: Ich fühle mich beim Anblick der sich 
vewegenden Teile an ein Maschinenballett erinnert, 
dessen meisterliche Choreographie zu einem 
echten Schauvergnügen führt. Wie stark Tinguely 
zurzeit von der Rahmenarchitektur fasziniert ist, 
geht übrigens aus den zahlreichen Zeichnungen her: 
vor, die er zu « Meta-Harmonie » machte, und zeigt 
sich auch In zwei weiteren Arbeiten, die im Umkreis 
der «Hommage an Calder und Stankiewicz» ent- 
standen: am « Relief blau» und dem « Märchenrelief » 
beide von 1978. Was Tinguely im Titel auszudrücken 
gedachte, den er seinem Relief « Meta-Harmonie» 
gab, darf man gewiss auch auf die « Hommage an 
Calder und Stankiewicz» anwenden. Der Maschinen 
künstler des Pop-Jahrzehnts, zentrale Figur des 
«Nouveau rgalisme», hat aus seinen unendlichen 
Möglichkeiten der Assemblagen und Bewegungen 
ein Fazit gezogen und über die «Meta-Matic» zur 
« Meta-Harmonie» gefunden. Erika Billeter 
g*
	        
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