ALBERTO GIACOMETTI: OBJET DESAGREABLE,
A JETER, 1931
Die kritische Qualifizierung seines surrealistischen
Schaffens, die Giacometti aus mehrjährigem Abstand
wiederholt geäussert hat‘, könnte das im Brief an
Dierre Matisse (1948) benutzte Schlagwort «Objets
sans base et sans valeur, ä jeter» resümieren, dem
Giacometti drei Zeichnungen zur Illustration der
Grundidee eines <objet desagreable, ä jeter» zugefügt
hat.?
Somit distanzierte sich Giacometti von einer fünf
Jahre dauernden Orientierung (1929-1933), die ihm
die Zeit zum kreativen Aufatmen gewährte. Sie
erlaubte ihm, von den irrationalen Quellen der Inspi-
ration und des Unterbewusstseins ausgehend, das
direkte Sehen durch das Schaffen aus dem Gedächt-
nis zu ersetzen. Das Erfassen der skulpturalen
Visionen, die seit 1929 spontan und voll ausgestaltet
in sein Gedächtnis kamen, war nach seinen eigenen
Worten mechanisch-leicht.? Ihren Brennpunkt bildeten
gewaltsame und repressive Inhalte der Liebes-
beziehung zwischen Mann und Frau, das leiden-
schaftliche Spiel von Liebe und Schmerz, Ekstase
und Grausamkeit - die immerwährende surrealistische
Faszination. Für Alberto Giacometti waren diese
Inhalte für die Symbolisierung eines Geschehens ver-
bindlich, das über die erotische Problematik hinaus-
geht und ein Werk als eine Theaterbühne sieht, wo
sich die fundamentalen Fragen des Lebens ent-
scheiden.
Die Giacometti-Stiftung kann sich glücklich schätzen,
dass sie bereits die meisten Werke besitzt, die aus
dieser Gedankensphäre hervorgegangen sind: «Main
prise) als Thema der Folterung, «Pointe a l’ceilb als
eine grausame Auflösung erotischer Beziehungen, im
«Projet pour un passage) eine pseudo-medizinisch
gebaute Falle und in «Femme &gorgee» ein Gleichnis
von Opfer und Angreifer. Mit dem «Unangenehmen
Gegenstand, zum Werfen» kommt eine neue meta-
phorische Verhüllung der erotischen - auch see-
ischen - Qual und einer tiefen und unaufhörlichen
Angst hinzu.
Das Dunkel-Mehrdeutige des Unterbewusstseins,
das der französische Dichter Pierre Reverdy mit
einem riesigen Netz mit zahllosen Maschen vergleicht
brachte Alberto Giacometti Bilder von vielen mög-
.ichen Deutungen. Er selber kommentierte dieses
Werk mit der Nonchalance und Mystizifizierungslust
aines echten surrealistischen «romancier) als <ein
7-amilienporträt, das ganz und gar kein abstraktes
Werk ist».* Eine verständliche Erläuterung der ver-
schlüsselten Skulptur wurde in der formalen Analogie
mit dem «Blickenden Kopf) - ein Gesicht auf der
Vorderseite und zwei Stützen auf der Rückseite - und
inhaltlich im «Verlust der Jungfräulichkeit» gesehen.
Wurde das Werk aber <a jeter = zum Werfen,
geschaffen, kann es, geworfen oder geschleudert,
aigene Positionen annehmen. Dann wäre die nach-
träglich von Giacometti ausgesprochene Bestim-
mung, es sei (zum Wegwerfen) da, dem surrealisti-
schen Postulat der absichtlichen Desorientierung
und der Tarnung eigener Ausgangserlebnisse und
Gefühle zuzurechnen. Sind die meisten surrealisti-
schen Werke, während deren Verwirklichung
der Künstler ein Spielball seines Gedächtnisses war,
eine Ideenbühne, in die starke persönliche Emotioner
eingeflossen waren und die deswegen mehrere
Interpretationen erlaubt, könnte man in dieser Bild-
haueridee eine Existenzmetapher sehen - ein surrea
listisches Spiel des Zufalls, ein schicksalhaftes
<opf-oder-Zahl-Werfen. Giacomettis bildhauerische
Gewohnheit, die weiblichen und männlichen Sym-
bole (weiche runde Eintiefungen und konkave Platter
gegen ragende, spitzige, stachelige Formen) auf
einer Raumenge zusammenzuziehen, wurde zur
Herausbildung der Idee der zugefügten und erlittener
Qual hier noch gesteigert. Die naturalistische,
arotisch explizite Ausgangsform (in der hölzernen
und marmornen Plastik «Objet desagreable», 1931,
ınd einer Bleistiftzeichnung, 1931-1932, festgehalten‘
arsetzte Gilacometti mit einer ausdrucksstarken
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