UP Es ist mir aufgefallen, dass viele Selbstbild-
nisse von hinten dargestellt sind, und zwar manch-
mal als Silhouette und manchmal als durchsichtige
Figur, praktisch als Loch, wie im <«Selbstbildnis als
Loch» von 1972 (Abb. S. 17).
DR Ja.
UP Empfinden Sie Ihr Selbst dadurch, dass es
von hinten dargestellt ist, als anonymer?
DR Ich glaube, bevor ich das gemacht habe, ist
mir irgendwie die Idee gekommen, man sollte doch
nicht nur das darstellen, was gesehen wird, son-
dern auch die Person, die sieht.
UP Deswegen auch die Vervielfältigung der Per-
son in diesem Blatt.
DR Ja. Zu der Zeit hab ich auch angefangen, so
zu empfinden, dass, wenn man etwas sagt, dass
man ja vielleicht nicht so sehr etwas sagt, sondern
man sagt etwas, was man sagt. Also ich sage: ich
sage das. Es kommt immer darauf hinaus, dass
man nicht etwas zeigt oder sagt, sondern dass man
sich selber zeigt. Wenn ich ein Bild malte, wollte ich
mich immer gerne noch reinmalen. Aber dann sieht
man ja nicht, was dahinter ist. Also macht man ein
Loch und sieht da durch. Hat aber das Gefühl, da
ist einer, der das sieht.
UP Das ist also der Betrachter, der zuschaut und
der gleichzeitig drin ist. Sie bringen sich mit ein ins
Bild, und indem Sie sich als Hohlform darstellen,
können Sie gleichzeitig nichts vom Bild verdecken
DR So ungefähr war die Idee, oder die Idee ist
vielleicht erst hinterher gekommen.
UP Damit hängt auch das andere Prinzip zusam-
men, das sehr häufig vorkommt: die Verkehrung
von Innen und Aussen. Zum Beispiel in dem Blatt
«Aussicht» ist das Meer mit Sonnenuntergang, das
man aus dem Fenster sehen sollte, in der Hohlform
der vor dem Fenster liegenden und die Aussicht
versperrenden Birne dargestellt.
DR Ja, es gibt einige von diesen Dingern.
UP Auch in dem Siebdruck «Doppelkopf am
Meen® gibt es so eine Durchsicht. Die beiden Köpfe
sind gleichzeitig Betrachter im Bild, und in ihnen
sieht man das, was im Bild dargestellt ist.
DR Da gibt es eine ganze Menge Doppelköpfe.
Wo das herkommt, weiss ich auch nicht.
UP Ähnlich wie bei der Darstellung der Figur von
hinten ist vielleicht auch die Verdoppelung eine
Tendenz zur Anonymisierung. Und es ist auch viel
leicht ein Auseinanderlegen seines Selbst in zwei
Möglichkeiten.
DR Ja. Ist doch mehr in den Bildern drin, als ich
gedacht habe.
UP In manchen Blättern, zum Beispiel «Am Meer
von hinten», bekommt der Kopf eine Art von Ver-
doppelung nach oben.
DR Das ist immer die Dunstwolke, die Vorstel-
lungswolke, die der fabriziert.
UP Das kommt ziemlich häufig vor, es ist wie eine
Gegenform.
DR Das sind alles Sachen, die ich nicht vorher ge
dacht habe, bevor ich es gemacht habe, aber jetzt,
wenn wir so drüber reden...
UP In vielen Graphiken findet auch eine Vermi-
schung von Mensch und Tier statt, von «Selbst, und
Tier, zum Beispiel in «Selbstbildnis als Selbst-
bildnishaltender Löwe»? oder «Süchtiger Tiger, als
Selbst seiner Selbst und Selbstbildnis als eifersüch-
tiger Tiger».8 Das ist auch eine Verfremdung des
Selbst. Indem es zum Tier wird, distanziert man sich
davon.
DR Ich lebte da mit einer Frau zusammen, die war
im Zeichen des Löwen geboren. Es gab Eifersuchts-
kämpfe, sie war eifersüchtig und ich auch. Ich bin
damals immer viel gereist. Wie das so ist, man will
selber gerne frei sein, aber wenn der andere das
macht, ist man eifersüchtig. Darum habe ich ge-
schrieben <«Eifersüchtiger Tiger; ich wollte mich
nicht Löwe nennen, weil sie ja schon Löwe war.
Und das Löwenbild habe ich behandelt, um das zu
besänftigen, glaube ich.
UP 1971 gibt es eine Reihe von Titeln, die mit .
Musik in Verbindung stehen, zum Beispiel «Barock-
etüde», «Strichquartett», «Quartett).?
DR Ah ja?
IQ