Full text: Jahresbericht 1981 (1981)

UP Es ist mir aufgefallen, dass viele Selbstbild- 
nisse von hinten dargestellt sind, und zwar manch- 
mal als Silhouette und manchmal als durchsichtige 
Figur, praktisch als Loch, wie im <«Selbstbildnis als 
Loch» von 1972 (Abb. S. 17). 
DR Ja. 
UP Empfinden Sie Ihr Selbst dadurch, dass es 
von hinten dargestellt ist, als anonymer? 
DR Ich glaube, bevor ich das gemacht habe, ist 
mir irgendwie die Idee gekommen, man sollte doch 
nicht nur das darstellen, was gesehen wird, son- 
dern auch die Person, die sieht. 
UP Deswegen auch die Vervielfältigung der Per- 
son in diesem Blatt. 
DR Ja. Zu der Zeit hab ich auch angefangen, so 
zu empfinden, dass, wenn man etwas sagt, dass 
man ja vielleicht nicht so sehr etwas sagt, sondern 
man sagt etwas, was man sagt. Also ich sage: ich 
sage das. Es kommt immer darauf hinaus, dass 
man nicht etwas zeigt oder sagt, sondern dass man 
sich selber zeigt. Wenn ich ein Bild malte, wollte ich 
mich immer gerne noch reinmalen. Aber dann sieht 
man ja nicht, was dahinter ist. Also macht man ein 
Loch und sieht da durch. Hat aber das Gefühl, da 
ist einer, der das sieht. 
UP Das ist also der Betrachter, der zuschaut und 
der gleichzeitig drin ist. Sie bringen sich mit ein ins 
Bild, und indem Sie sich als Hohlform darstellen, 
können Sie gleichzeitig nichts vom Bild verdecken 
DR So ungefähr war die Idee, oder die Idee ist 
vielleicht erst hinterher gekommen. 
UP Damit hängt auch das andere Prinzip zusam- 
men, das sehr häufig vorkommt: die Verkehrung 
von Innen und Aussen. Zum Beispiel in dem Blatt 
«Aussicht» ist das Meer mit Sonnenuntergang, das 
man aus dem Fenster sehen sollte, in der Hohlform 
der vor dem Fenster liegenden und die Aussicht 
versperrenden Birne dargestellt. 
DR Ja, es gibt einige von diesen Dingern. 
UP Auch in dem Siebdruck «Doppelkopf am 
Meen® gibt es so eine Durchsicht. Die beiden Köpfe 
sind gleichzeitig Betrachter im Bild, und in ihnen 
sieht man das, was im Bild dargestellt ist. 
DR Da gibt es eine ganze Menge Doppelköpfe. 
Wo das herkommt, weiss ich auch nicht. 
UP Ähnlich wie bei der Darstellung der Figur von 
hinten ist vielleicht auch die Verdoppelung eine 
Tendenz zur Anonymisierung. Und es ist auch viel 
leicht ein Auseinanderlegen seines Selbst in zwei 
Möglichkeiten. 
DR Ja. Ist doch mehr in den Bildern drin, als ich 
gedacht habe. 
UP In manchen Blättern, zum Beispiel «Am Meer 
von hinten», bekommt der Kopf eine Art von Ver- 
doppelung nach oben. 
DR Das ist immer die Dunstwolke, die Vorstel- 
lungswolke, die der fabriziert. 
UP Das kommt ziemlich häufig vor, es ist wie eine 
Gegenform. 
DR Das sind alles Sachen, die ich nicht vorher ge 
dacht habe, bevor ich es gemacht habe, aber jetzt, 
wenn wir so drüber reden... 
UP In vielen Graphiken findet auch eine Vermi- 
schung von Mensch und Tier statt, von «Selbst, und 
Tier, zum Beispiel in «Selbstbildnis als Selbst- 
bildnishaltender Löwe»? oder «Süchtiger Tiger, als 
Selbst seiner Selbst und Selbstbildnis als eifersüch- 
tiger Tiger».8 Das ist auch eine Verfremdung des 
Selbst. Indem es zum Tier wird, distanziert man sich 
davon. 
DR Ich lebte da mit einer Frau zusammen, die war 
im Zeichen des Löwen geboren. Es gab Eifersuchts- 
kämpfe, sie war eifersüchtig und ich auch. Ich bin 
damals immer viel gereist. Wie das so ist, man will 
selber gerne frei sein, aber wenn der andere das 
macht, ist man eifersüchtig. Darum habe ich ge- 
schrieben <«Eifersüchtiger Tiger; ich wollte mich 
nicht Löwe nennen, weil sie ja schon Löwe war. 
Und das Löwenbild habe ich behandelt, um das zu 
besänftigen, glaube ich. 
UP 1971 gibt es eine Reihe von Titeln, die mit . 
Musik in Verbindung stehen, zum Beispiel «Barock- 
etüde», «Strichquartett», «Quartett).? 
DR Ah ja? 
IQ
	        
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