Full text: Jahresbericht 1981 (1981)

zeit der Publikation fiel, die eine Ausstellung sämtli- 
sher Zeichnungen und druckgraphischen Werke 
Alberto Giacomettis in den Schweizer Museen und 
öffentlichen Stiftungen begleitete, habe ich in dem 
erwähnten Buch, den Ankauf der 42 Frühwerke zu- 
versichtlich erwartend, bereits einige besonders ein- 
drückliche Blätter besprochen und abgebildet (Rein- 
hold Hohl/Dieter Koepplin: Alberto Giacometti, 
Zeichnungen und Druckgrafik. Stuttgart, Hatje, 1981; 
zur Basler Ausstellung erschien ein Einlageblatt, das 
die 42 Neuerwerbungen mit den Inventarnummern 
der A. Giacometti-Stiftung und des Basler Kupfer- 
stichkabinetts aufführt). Im folgenden seien einige 
{freilich aus dem Zusammenhang genommene) Ab- 
schnitte zitiert, die sich auf die von der Alberto 
Giacometti-Stiftung übernommenen Zeichnungen 
beziehen: 
(Auch jene frühen Porträts Alberto Giacomettis, die 
das Modell in seitlicher Wendung und oft mit ge- 
senktem Blick bei konzentrierter Beschäftigung zei- 
gen, werden von einer rigorosen vertikalen Verspan- 
nung und einer fast steinernen Strenge bestimmt 
'Abbildung Seite 19). Wie im Spätwerk, so wird be- 
reits in den frühesten Zeichnungen der Bildnistypus 
der Frontalfigur ergänzt durch denjenigen der sich 
sammelnden, intim beobachteten Porträtfigur. Die 
zweite Form hat ihre Vorbilder etwa bei Bonnard, 
hier aber weitläufiger an ein weich differenziertes 
Interieur gebunden. Beide Modellpositionen gestat- 
teten Alberto Giacometti eine ähnliche sachliche, 
jangdauernde Annäherung. 
in merkwürdig grotesker Form hat sich Alberto 
Giacometti selbst als ein starr lachender Pseudo- 
Falkner mit einem Vogel auf der rechten Hand fron- 
tal dargestellt (Abbildung Seite 20). Diese etwa 
1917 entstandene Formulierung des jungen Man- 
nes, der uns nicht verrät, warum er den Mund zum 
Lachen verzieht und mit grossen schwarzen Augen 
knapp an uns vorbeischaut, könnte man geradezu 
als Parodie auf die frontalen, bedeutungsschweren 
Bildnisse von Hodier oder Segantini verstehen. Hal- 
ten wir das milde Kinderbildnis daneben, mit wel- 
chem Giovanni Giacometti den etwa vierjährigen 
Alberto im kleinen Format gemalt und selber bunt 
gerahmt hat (Abbildung Seite 20), so erscheint der 
Abstand etwas geringer. Trotzdem besitzt Alberto 
Giacomettis Zeichnung eine Schärfe im Kontrastie- 
-en und eine strenge Achsenbezogenheit, die die- 
sem wohl scherzhaft gemeinten Bild des Lachenden 
aine nachwirkende Dimension verleiht. 
Im Typus am meisten hodlerisch, und den hodleri- 
schen Formulierungen Amiets entsprechend, ist das 
1918 von Alberto Giacometti mit der Tuschfeder ge- 
zeichnete Bildnis seiner Mutter (Abbildung Seite 
20). Durch die gläserne und steinerne Strukturie- 
rung des Kopfes brach jedoch Giacometti, ob er es 
beabsichtigte oder nicht, im Grunde völlig mit der 
nach-symbolistischen und nach-fauvistischen Tradi- 
tion seiner künstlerischen Umgebung und begab 
sich auf den Weg zur nuancierten Versteinerung 
und räumlich suggestiven Abflachung von Köpfen 
wie in der plastischen Büste seiner Mutter von 1927 
(Abbildung Seite 20). 
Ner sich in die frühe Zeichnung der Mutter hinein- 
sieht, wird gestehen müssen, dass uns hier fast 
atwas wie eine Medusen-Realität anschaut: diese 
harte Gegenwart eines Kopfes elektrisiert, lässt 
ainen zurückweichen; keine vertrauliche „Einfüh- 
ung” (um den von Wilhelm Worringer eingeführten, 
dem Prinzip der „Abstraktion” entgegengesetzten 
3egriff zu verwenden) wird ermöglicht. Man er- 
schrickt. Wenn die Mittelachse vom Scheitel über 
die Nase bis zum Kleid mit winzigen Andeutungen 
durchgezogen wird durch diesen fast schattenlosen, 
nur aus skelettartigen Strichen bestehenden Kopf, 
so werden wir gezwungen, alles mit dieser Achse in 
Verbindung zu bringen und in jedem Detail das Lot 
zu spüren. 
Giovanni Giacometti, wenn er den kleinen Alberto 
im Bildfeld ausbreitete und uns anblicken liess (Ab- 
bildung Seite 20), gab uns ein intimes, fragloses 
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