Wenden wir uns zunächst den formalen Fragestel-
lungen zu. Es war Gauguins sich zunehmend deut-
licher manifestierendes Stilwollen, seinen Bildern
formalen Halt zu geben, die in einander überge-
henden Farbvaleurs zu separieren. In der frühen
Phase dieser Entwicklung hat Gauguin, wie bereits
dargelegt, von C6zanne, dessen entscheidende
Leistung in jenen Jahren es war, betonte Körperlich-
keit mit betonter Flächigkeit zu verbinden —- so hat
sich Georg Schmidt einmal ausgedrückt® —-, prä-
gende Impulse zu empfangen, wobei im Laufe der
weiteren Recherchen bei Gauguin das Prinzip des
Flächigen und der ausdrucksstarken Umrisslinie
mehr und mehr die Überhand gewann. Schon 1888
hat Gauguin die ersten Bilder in diesem neuen Stil
gemalt, für den auch gleich eine Bezeichnung ge-
funden war: der Cloisonnisme, ein Begriff, der aus
der mittelalterlichen Emailtechnik abgeleitet wurde,
in der die farbigen Glasflüsse durch feine Metall-
stege getrennt wurden. Gerade daraufhin zielten die
Bestrebungen Gauguins und seiner Künstlerfreunde
in Pont-Aven, allen voran diejenigen Emile Bernards.
ab: einheitliche Farbflächen, von breiten Konturen
umschlossen - wobei die neuen Regeln von
Gauguins Anhängern in höherem Masse rezeptmäs-
sige Anwendung fanden als bei Gauguin selbst, der
sich stets grössere innere Freiheit bewahrt hat.
Auch van Gogh interessierte sich im Sinne der Be-
tonung kontrastreicher Umrisslinien für den Cloison-
nisme, wobei jedoch seine ausdrucksgeladene,
emotionelle Pinselschrift in grossem Gegensatz
steht zu Gauguins glattgestrichenen Farbflächen.
Dass das Experiment der intensiven Zusammen-
arbeit der von Charakter und Temperament so
unterschiedlichen Künstler scheitern musste, geht
sichtbar aus jedem Pinselstrich dieser beiden Weg
bereiter der Malerei des 20. Jahrhunderts hervor
Das Bild «La Barriere», das er im Jahr nach der Ent-
zweiung mit van Gogh ausgeführt hat, zeigt in aller
Deutlichkeit die Elemente des überwundenen Im-
pressionismus. Während die Felsbrocken im Vor-
derarund die Auseinandersetzung mit C6zanne
noch sichtbar werden lassen, so trägt doch die
Gliederung in einzelne, flächig voneinander abgeho
bene Partien schon deutlich Gauguins persönliche
Handschrift. Das Bestreben, das Bildmotiv zu straf-
fen und expressiv zu steigern, geht aus der
Tatsache hervor, dass Gauguin das Holzgitter im
Vordergrund offensichtlich seinem Formempfinden
einer ausdrucksgeladenen Deformation unterordnet
aber auch, dass er den Landschaftsausschnitt
bewusst seinen Intentionen unterordnet, indem er
vor den Häusern im Hintergrund eine Baumgruppe
nicht berücksichtigt hat. Diese Korrektur des
Naturvorbildes ist deshalb bekannt, weil Paul
Serusier genau denselben Landschaftsausschnitt in
der gleichen Zeit mit den Bäumen gemalt hat.®
Nun wird bekanntlich in der Literatur unser Bild al-
ternierend mit den Bezeichnungen «La Barrigre)
oder «La gardeuse de porcs) genannt. Der zweiten
Bezeichnung kommt insofern Bedeutung zu, als
Gauguin sich in zunehmenden Masse dem Thema
der Menschendarstellung verschrieben hat. Auch
wenn zuweilen in Werken der späten 80er Jahre
das Menschenbild rein optisch noch nicht dominanı
vorgetragen wird, so wird es doch mehr und mehr
zum Kern der Bildaussage. Und im gewandelten
Verhältnis zur Darstellung des Menschen manife-
stiert sich denn auch Gauguins thematische Neube
sinnung gegenüber dem Impressionismus. Wenn
die Maler des Impressionismus primär den Typus
des Grossstadtmenschen verkörpern und der Figu-
rendarstellung im Landschaftsbild eher die Funktion
der Staffage zuweisen, so beschäftigte Gauguin der
einfache Mensch in bestimmten typischen Aus-
drucksgebärden. Insbesondere das Sitzen, oder wie
man vielleicht mit einem Helvetismus noch treffen-
der sagen könnte «das Hocken», wird zu einem zen-
tralen Motiv in seinem Schaffen. Gauguin ist nicht
als Tourist oder als Maler, der das Pittoreske sucht
in die damals noch unberührte Provinz gekommen.
Auch wenn als Begründung für seinen ersten Pont
Aven-Aufenthalt rein äussere Argumente genannt
werden können —- das Leben auf dem Land kam