Full text: Jahresbericht 1981 (1981)

Wenden wir uns zunächst den formalen Fragestel- 
lungen zu. Es war Gauguins sich zunehmend deut- 
licher manifestierendes Stilwollen, seinen Bildern 
formalen Halt zu geben, die in einander überge- 
henden Farbvaleurs zu separieren. In der frühen 
Phase dieser Entwicklung hat Gauguin, wie bereits 
dargelegt, von C6zanne, dessen entscheidende 
Leistung in jenen Jahren es war, betonte Körperlich- 
keit mit betonter Flächigkeit zu verbinden —- so hat 
sich Georg Schmidt einmal ausgedrückt® —-, prä- 
gende Impulse zu empfangen, wobei im Laufe der 
weiteren Recherchen bei Gauguin das Prinzip des 
Flächigen und der ausdrucksstarken Umrisslinie 
mehr und mehr die Überhand gewann. Schon 1888 
hat Gauguin die ersten Bilder in diesem neuen Stil 
gemalt, für den auch gleich eine Bezeichnung ge- 
funden war: der Cloisonnisme, ein Begriff, der aus 
der mittelalterlichen Emailtechnik abgeleitet wurde, 
in der die farbigen Glasflüsse durch feine Metall- 
stege getrennt wurden. Gerade daraufhin zielten die 
Bestrebungen Gauguins und seiner Künstlerfreunde 
in Pont-Aven, allen voran diejenigen Emile Bernards. 
ab: einheitliche Farbflächen, von breiten Konturen 
umschlossen - wobei die neuen Regeln von 
Gauguins Anhängern in höherem Masse rezeptmäs- 
sige Anwendung fanden als bei Gauguin selbst, der 
sich stets grössere innere Freiheit bewahrt hat. 
Auch van Gogh interessierte sich im Sinne der Be- 
tonung kontrastreicher Umrisslinien für den Cloison- 
nisme, wobei jedoch seine ausdrucksgeladene, 
emotionelle Pinselschrift in grossem Gegensatz 
steht zu Gauguins glattgestrichenen Farbflächen. 
Dass das Experiment der intensiven Zusammen- 
arbeit der von Charakter und Temperament so 
unterschiedlichen Künstler scheitern musste, geht 
sichtbar aus jedem Pinselstrich dieser beiden Weg 
bereiter der Malerei des 20. Jahrhunderts hervor 
Das Bild «La Barriere», das er im Jahr nach der Ent- 
zweiung mit van Gogh ausgeführt hat, zeigt in aller 
Deutlichkeit die Elemente des überwundenen Im- 
pressionismus. Während die Felsbrocken im Vor- 
derarund die Auseinandersetzung mit C6zanne 
noch sichtbar werden lassen, so trägt doch die 
Gliederung in einzelne, flächig voneinander abgeho 
bene Partien schon deutlich Gauguins persönliche 
Handschrift. Das Bestreben, das Bildmotiv zu straf- 
fen und expressiv zu steigern, geht aus der 
Tatsache hervor, dass Gauguin das Holzgitter im 
Vordergrund offensichtlich seinem Formempfinden 
einer ausdrucksgeladenen Deformation unterordnet 
aber auch, dass er den Landschaftsausschnitt 
bewusst seinen Intentionen unterordnet, indem er 
vor den Häusern im Hintergrund eine Baumgruppe 
nicht berücksichtigt hat. Diese Korrektur des 
Naturvorbildes ist deshalb bekannt, weil Paul 
Serusier genau denselben Landschaftsausschnitt in 
der gleichen Zeit mit den Bäumen gemalt hat.® 
Nun wird bekanntlich in der Literatur unser Bild al- 
ternierend mit den Bezeichnungen «La Barrigre) 
oder «La gardeuse de porcs) genannt. Der zweiten 
Bezeichnung kommt insofern Bedeutung zu, als 
Gauguin sich in zunehmenden Masse dem Thema 
der Menschendarstellung verschrieben hat. Auch 
wenn zuweilen in Werken der späten 80er Jahre 
das Menschenbild rein optisch noch nicht dominanı 
vorgetragen wird, so wird es doch mehr und mehr 
zum Kern der Bildaussage. Und im gewandelten 
Verhältnis zur Darstellung des Menschen manife- 
stiert sich denn auch Gauguins thematische Neube 
sinnung gegenüber dem Impressionismus. Wenn 
die Maler des Impressionismus primär den Typus 
des Grossstadtmenschen verkörpern und der Figu- 
rendarstellung im Landschaftsbild eher die Funktion 
der Staffage zuweisen, so beschäftigte Gauguin der 
einfache Mensch in bestimmten typischen Aus- 
drucksgebärden. Insbesondere das Sitzen, oder wie 
man vielleicht mit einem Helvetismus noch treffen- 
der sagen könnte «das Hocken», wird zu einem zen- 
tralen Motiv in seinem Schaffen. Gauguin ist nicht 
als Tourist oder als Maler, der das Pittoreske sucht 
in die damals noch unberührte Provinz gekommen. 
Auch wenn als Begründung für seinen ersten Pont 
Aven-Aufenthalt rein äussere Argumente genannt 
werden können —- das Leben auf dem Land kam
	        
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