Full text: Jahresbericht 1981 (1981)

DIETER ROTH, GOBELIN (BERTORELL! <B>»). 
1974-1976 
«Gequetschte Zivilisation mit Schaum obendrauf auf der 
Geschichte ihrer selbst, die die Geschichte einer Zivilisation ist 
als Liste untereinander abhängiger Schichten Abfallhaufens, in 
einem Betrachter gefunden, der in der Tradition des Begriffes 
vom Gesehenen als unabhängiges Solches befangen ist.>' 
Das Kunsthaus Zürich hat im Berichtsjahr seine Kol- 
lektion an Werken des 1930 in Hannover gebore- 
nen, in der Schweiz aufgewachsenen Künstlers 
Dieter Roth massiv ausgebaut. Die Graphische 
Sammlung hat 1981 rund zwei Drittel des graphi- 
schen Werkes neu angeschafft. Der Gobelin ist das 
siebente Werk in der Gemäldesammlung. 
Dieter Roths Gobe/n ist ein Unikat/Unikum ([<unikat 
nun aber dagegen ist ein wort und zwar ein wort 
das hier anstelle des wohl schöneren (aber auch 
hässlicheren) wortes unikum stehen soll (allen 
leuten recht getan ist nämlich keine kunst weil dies 
jeder kann kunst wäre also das was niemand kann) 
unikum soll also da nicht hierstehen aber unikat soll 
beileibe nicht sagen dass das ding da (das unikat 
heisst) einzig einsam und allein in dieser schreck- 
lichen welt stehe oder auch liege oder sich sogar 
bewege nicht einsam und alleine sondern als ein 
ding das nur leicht (bis schwer) von den dingern 
verschieden ist mit denen zusammen es in einer 
gruppe auftritt ...»2] also ein Unikum nicht nur als 
Werk, sondern auch in der persönlichen Rezeption 
«Brüder, erinnert Ihr Euch noch an die Zeiten der 
Ankäufe für Städtische Schulen und Heime in den 
sechziger Jahren!» Man wollte einen Luginbühl, 
doch schliesslich hing erneut eine Tapisserie im 
Treppenhaus, und der Kredit für den künstlerischen 
Schmuck war ausgegeben. Tapisserien waren das 
Unvermeidliche, und dementsprechend war man 
davon übersättigt. Um so vehementer der «coup de 
foudre) vor diesem singulären Werk, das im Mai 
1981 in Köln und an der ART 81 in der Galerie 
Holtmann zu sehen war. Wieder einmal war es 
Dieter Roth, der nach den Seh-, Hör-, Lese-, ja Ge- 
ruchsweisen, die er zum Entgleisen brachte, ein ge 
störtes Verhältnis zum Gewobenen wieder ins Lot 
brachte. Der hektische Künstler, der hochgradig 
kaltlyrische und warmphilosophische Literat, der 
Paradoxalmusiker, der Mischer von Standard- und 
Verfremdettönen, der Überschwemmer der Märkte 
der Käufer isländischer Flüsse, er hat uns über- 
rascht. Mit einem GOBELIN. 
Das 210 X 189 cm grosse Stück in massivstem Holz- 
rahmen und unter Glas, ein Zentner schwer, zeigt in 
der Simultanlektüre, also unter vollkommener Ver- 
neinung der Regeln des «Rechts und Links im Bilde: 
eine Art Landschaft in Mauve und Ocker mit zu de- 
chiffrierenden Schichten und Zeichenkomplexen. In 
der Vertikalen, der Horizontalen und den Diagona- 
len erkennt man Räder, bekrönt von Fleur-de-Lys- 
Motiven. Eine gelbe Doppellinie teilt die Fläche in 
der Horizontalen, eine einfache in der Vertikalen. 
Eine nicht näher zu bezeichnende Konfiguration, 
eine Art Koordinatensystem aus roten und orangen 
Linien, mal dezidiert gezogen, teils sich in Schnörke 
und Volütchen verlierend, aber sichtbar vom selben 
graphischen Impetus, durchzieht die Mittelzone. 
Weitere graphische Elemente sind die Inschriften 
und Signaturen: «Dieter Roth 1974», «Bertorelli B), 
«Ingrid Wiener), «Berlin 1976» und «VALIE EXPORT: 
Das in zwei Jahren entstandene Webbild wird als 
vielschichtig und nicht-komponiert erlebt, als ein 
eingewobener und verwobener, fransentragender 
Spontanismus. 
Das gobelingeadelte Stück gibt Rätsel auf, die nur 
mit Hilfe von drei beigegebenen Zutaten und Befra 
gung der Beteiligten zu lösen waren. Die Zutaten: 
eine gerahmte Leinenserviette (47 X 50 cm) und 
zwei Zeichnungen auf Cellophan, die erste eine 
Durchpause der Serviette, die zweite die Vergrösse 
rung der Vorzeichnung mittels Quadratur auf die 
Gobelinmasse. Am meisten Aufschlüsse gibt die 
Serviette, denn sie ist mit ihren Rad- und Pflanzen- 
mustern, den brüchigen Faltstellen, den Flecken und 
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