Full text: Jahresbericht 1981 (1981)

Schmutzspuren, einer rot/orangen Filzstiftzeichnung 
und dem eingestickten <«Bertorelli B» die eigentliche 
Vorlage. Das Restaurant «Bertorellb, Filiale einer ita- 
lienischen Trattoriakette in London, wurde von 
Dieter Roth in der ersten Hälfte der siebziger Jahre 
oft und gern besucht, seine Servietten benützte er 
als Projektionsebene spontaner Graphismen. Und 
ein Exemplar, das unsere, hat er nicht verschenkt, 
sondern aufbewahrt. Aufbewahrt bis zu dem Tage. 
an dem zwei Wienerinnen, ausgebildete Weberin- 
nen, Dieter Roth fragten, ob er ihnen nicht eine Vor- 
lage für einen Gobelin entwerfen könne. Die beiden 
Wienerinnen (<«Ehret die Frauen! Sie flechten und 
weben / Himmlische Rosen ins irdische Leben, 
Schiller) sind VALIE EXPORT und Ingrid Wiener. 
Beide hatten die Höhere Bundeslehranstalt für Tex 
tilindustrie, Abteilung Design, in Wien absolviert, 
beide haben für Hundertwasser Bildteppiche ge- 
woben. Beide machten im «Wiener Institut für 
direkte Kunst» mit. Dann verliefen die Lebensläufe 
anders. VALIE EXPORT (1940 in Linz geboren) be- 
gann 1967 mit ihren Filmen, Aktionen, Photozyklen 
(«Körperkonfigurationen»), Video-Installationen, mit 
denen sie 1980 zusammen mit der Malerin Maria 
Lassnig Österreich an der Biennale von Venedig 
vertritt. Ingrid Wiener (1942 in Wien geboren) heira- 
tet 1964 Oswald Wiener, zieht 1969 nach Berlin, wo 
sie zuerst im «Exil» und heute im Restaurant (Axbax) 
die Kochkunst pflegt. Dazu Dieter Roth: «Vor acht 
oder neun Jahren hatte sich Ingrid Wiener einen 
Webstuhl gekauft und fragte mich, als ich viel in 
Berlin war, ob ich nicht für sie einen Teppichent- 
wurf hätte, den sie mit VALIE ausführen könnte. Ich 
hatte diese Serviette, die meisten musste ich abge- 
ben, aber diese hatte ich behalten. Die Serviette 
war gewoben, alle Muster sind schon drin. Ich 
guckte die Details an und merkte, dass man von 
einem Detail zum andern kommt: Man sieht ein Mu- 
ster, ein Rädchen, einen Stern, dann einen Fleck, 
dann wieder vom Stern weggehend die verschie- 
denartige Struktur der Maschen. Man konnte sich 
immer mehr reinsehen, und ich dachte: Ich gebe 
ihnen die Serviette und dann: „Je nach Energievor- 
rat und Laune, packt rein, alles, was ihr seht; und 
die eine macht die rechte Seite, die Valie, und die 
andere macht die linke, die Ingrd”.»3 
Diese Arbeitsteilung war nicht nur praktischer Natur 
- der Gobelin wurde in Berlin gewoben, Ingrid Wie- 
ner konnte also regelmässiger daran arbeiten, wäh: 
rend VALIE EXPORT stets für ihren Teil von Wien 
nach Berlin reisen musste -, sondern erklärt ein 
weiteres Element im Bild: Die blaue Trennlinie in 
der Mitte, die unten der Kontur des Rades folgt und 
oben einem Profil nach links mit Nase und 
fliehender Stirn ähnelt. Die lange Herstellungszeit 
erklärt auch eine feststellbare Unterschiedlichkeit ir 
den beiden Hälften und im vertikalen Ablauf, von 
unten nach oben. In diesen zwei Jahren verstand 
sich Dieter Roth eher als Energielehrer: «Wenn ihr 
müde seid oder keine Lust habt zum Schnellma- 
chen, dann übertragt nur das, was man sieht. 
Konzentrieren. Ich ging jeweils gucken, versuchte 
auch anzufeuern. Aber ich merkte, man kann nicht 
zu weit gehen. Besonders die Versuchung, die Wir- 
kung steigern zu wollen, ist gross. Aber das ist wie 
eine Bremse. Am besten war, alles der Serviette zu 
überlassen. »3 
Diese zweijährige Arbeit wurde auch von den 
beiden Künstlerinnen als Abenteuer empfunden. 
VALIE EXPORT meinte: «Es war sehr lustig, sehr an- 
genehm, weil es ein so besonderer, sehr guter Ent- 
wurf war. Es war keine handwerkliche Arbeit, eher 
eine mediale Umsetzung. Die Vorlage war ein Textil 
objekt, das Vorstellungsvermögen und Phantasie 
herausforderte und in der Gestaltung der Einzel- 
heiten und der Schatten frei liess. Ich hatte in die- 
sen zwei Jahren auch immer das Bewusstsein, eine 
Museumsarbeit zu machen. Dass ich damals sehr 
stark feministische Aktionen durchführte, hatte auf 
die Arbeit keinen Einfluss. Das kann man trennen. 
Es war harte, ganz direkte Arbeit, und zu Ingrid 
Wiener gab es keine Kompetition. Kurz: Es war in- 
novativ.>*4 Und Ingrid Wiener: «Es war ein faszinie- 
rendes Experiment, erstmalig ein Webwerk, das 
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