eigentlichen Sinn, ähnlich wie seine Bücher auch
als «Buchfamilien» zusammengehören.
Dieter Roth ist von Anfang an unkonventionell mit
dem graphischen Medium umgegangen.
Dieter Roth Bei meiner allerersten Radierung,
einem Selbstbildnis,2 hab ich den Boden von einer
Teedose flachgeschlagen und dann mit einem
Nagel reingekratzt. Ich hatte aber keine Presse. Da
hab ich das eingeschmiert mit Aquarellfarbe und
unter den Schrank gestellt, unter ein Schrankbein.
das war gerade so gross wie die Platte, hat aber
nichts genützt. Das war etwa 1946. Und dann bin
ich 1947 als Graphiker in die Lehre gekommen nach
Bern und habe 1948/49 Rudolf Mumprecht getrof-
fen. Der hat für mich diese alten Platten, die ich da
hatte, abgedruckt. Es war bei all diesen frühen Gra-
phiken Dosenblech; Kupferplatten waren zu teuer,
ich war ja mausarm. Während der Lehre habe ich
dann Linolschnitte gemacht. Später habe ich Litho-
graphieren gelernt bei Eugen Jordi, der war Lehrer
an der Gewerbeschule in Bern. Er hat mir zwei
kleine Steine geschenkt, da hab ich nach der Lehre
noch drauf gearbeitet und bin dann zu ihm gegan-
gen zum Drucken. Als die Druckerei Kümmerli + Frei
in Bern 1952/53 von der Lithographie auf Offset-
druck überging, haben sie den Berner Künstlern
freigestellt, auf den alten Andruckpressen zu arbei-
ten. Da hat man drucken können. Die hatten noch
den alten Andrucker, der hat mir alles gezeigt, die-
ser alte Mann, und da habe ich ein bisschen geübt.
Ursula Perucchi Wie sind Sie dann nach Ihren
figurativen Anfängen und den darauf folgenden <in-
formellen) Werken zu Ihren konstruktivistischen
Arbeiten gekommen?
DR 1954 habe ich manchmal Reproduktionslithos
für die «Spirale»3® gezeichnet, zum Beispiel habe ich
mal ein Gemälde von Vordemberge auf den Stein
übertragen. Der hat einfach eine Photo geschickt
von dem Bild, und dann hab ich das auf Lithostein
übertragen. Dann hab ich für Graeser mal einen
Holzschnitt gemacht, der hat auch eine Photo von
einem Gemälde geschickt, und ich habe das in Holz
geschnitten und dort gedruckt.
UP Bereits in den frühen konstruktivistischen Blät
tern verfolgen Sie das Prinzip, die Druckform einer
Zeichnung durch Drehung so oft zu verändern, bis
die ursprüngliche Form nicht mehr erkennbar und
ein komplexes Bild entstanden ist.
DR Ja, oder durch Verschiebung. Bei rechteckiger
Sachen hat es mehr Sinn, die Druckform zu ver-
schieben.
UP In Ihren Büchern haben Sie ja in der Zeit das
selbe praktiziert. Im Grunde besteht ein sehr enger
Zusammenhang zwischen den Büchern und den
Graphiken.
DR Ja, aber später nicht mehr, weil sich dann die
Graphik bei mir als Erwerbszweig etabliert hat. In
den Büchern habe ich dann etwas anderes ge-
macht.
1952/53, vor der konstruktivistischen Periode, habe
ich ganz sentimentale Gedichte geschrieben. So
Weintrauben und Birnen und Mondschein, so rich:
tige Liebesgedichte.
Dann hab ich sie mal dem Marcel Wyss von der
«Spirale» gezeigt. Der hat das unheimlich senti-
mental gefunden: «Das ist ja schaurig, das kann
man nicht bringen.» Da habe ich einen Schock be-
kommen und habe aufgehört zu schreiben. Für
mehrere Jahre. Das war der Zeitpunkt, wo ich diese
konstruktivistischen Sachen angefangen habe, die
waren ja nicht sentimental. Plötzlich gab es nur
noch Striche und Quadrate.
UP Das hing also auch mit ganz persönlichen Er-
fahrungen zusammen.
DR Das ist meistens so. Die Leute denken immer
man macht etwas aus künstlerischen, philosophi-
schen, theoretischen Erwägungen, das ist alles nur
immer Reaktion auf irgend etwas, was man erlebt
UP Vielleicht ist das nicht bei allen Künstlern so,
aber bei Ihnen kann ich es mir vorstellen.
In Ihren berühmten Städtebildern, wie Solothurn,
Köln, Heidelberg, Düsseldorf, die nach Ansichtskar
ten entstanden sind, haben Sie mit verschiedenen
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